Vor kurzem habe ich den Frust meines (fiktiven) Freundes Otto beschrieben. Der ist Lehrer und leidet an dem Unglück seiner Schüler, das sich ja wirklich sehr bedenklich äußert.
So quält mich schon lange die bange Frage:
„Was sind die Ursachen für den vereinigten Frust der meisten Schüler an Deutschlands Schulen?“
Und auch vieler Eltern? Und Lehrer?
Wir haben ja in vielen Unternehmen eine große Frustsituation. Das kann ich aus eigener Fahrung bestätigen. Die Mitarbeiter haben dort oft innerlich gekündigt und betrachten ihr Gehalt als Schmerzensgeld. Montag bis Freitag opfern sie ihre Zeit zähneknirschend ihren Arbeitgebern! Aber am Wochende leben Sie ihr Leben. Um dann wieder frustriert sich am Montag zum Malochen am Arbeitsplatz schleppen. Oder „krank“ vom Wochenende zu Hause bleiben.
Wenn es um die Arbeitswelt geht, da fordern viele Menschen und Gruppen ein neue Form des Arbeitens: #newwork. Von Dr. Markus Raitner gibt es sogar ein tolles Manifest für menschliche Führung. Viele Schlagworte wie Selbstorganisation, Unternehmensdemokratie, Eigenverantwortlichkeit, Agilität sind in aller Munde. Mit Methoden wie wol (working out loud) und vielen anderen wird versucht, die Motivationssituation in den Unternehmen zu verbessern. Die ganz radikalen rufen nach #nobossing. Die Personalabteilungen auch der großen Konzerne versuchen mit vielen Maßnahmen und großem Aufwand die Zufriedenheit und Motivation bei den Mitarbeitern strategisch wieder herzustellen.
Erwachsenen beanspruchen für sich #newwork, unsere Kinder brauchen #newschool.
An die Kinder denken die Erwachsenen nicht. Die sind ihnen anscheinend gleichgültig. Da höre ich keinen lauten Ruf nach einer Form von #newschool an den Bildungsanstalten. Es ist einfacher, auf die ach so unmögliche Jugend zu schimpfen. Früher war halt alles besser.
Leider gibt es auch nur ganz wenig Schulen, die den Kindern die Möglichkeit geben wollen und können, agil, selbstorganisiert und eigenverantwortlich zu arbeiten. Von der Christophine habe ich mal berichtet. Dabei sollten wir Erwachsene an die Kinder denken, nicht immer nur an uns selber. Denn wir können mit ein wenig Mut und Glück unser Leben selber autonom einrichten.
Also weg mit #newwork. Ersetzen wir das besser durch ein #newschool für ein gelingendes Leben unserer Kinder.
Die Übel hat einen Namen, es ist der Lehrplan.
Der Lehrplan bestimmt die Schule. Er hat zwei Funktionen. Dem Lehrer schreibt er vor, welcher Lehrstoff in welcher Klasse durchgenommen werden muß. Und er ist die Basis für die Prüfungen, mit denen die Schüler objektiv vermessen werden sollen, was sie gelernt haben. Damit man sie dann mit Noten versehen einordnen kann.
Die Lehrpläne haben nur Nachteile. Sie sind schlecht konfiguriert, weil es unmöglich ist, das Wissen richtig einzuteilen. Der Stoff muss in einem bestimmten Zeitraum erlernt werden. Es so etwas wie einen Fahrplan, der vorgibt, zu welchem Zeitpunkt im Jahr die Klasse ihren Stoff gelernt haben muss. Lehrerausfälle schnell den Fahrplan durcheinander bringen. Wie der Verlust von Tagen durch „hitzefrei“ oder andere Wetterereignisse den Lernprozess stört. Und Kinder wie Gruppen lernen unterschiedlich.
Der Lehrplan konzentriert sich auf die Vermittlung von Wissen. Das Einüben von wichtigen Fähigkeiten fällt hinten runter wie Kommunikation im Zweier- oder Gruppengespräch, kreatives Denken, systematisches Ordnen und Bewerten, Suchen nach Lösungem, eigenständigem Denken, Selbstorganisation, Leben in hierarchiefreier Sozialisierung, Analysieren von Problemen, aber auch allgemein wie man das Wissen findet und es erlernt. DENKEN und MENSCHLICHKEIT sind nur minimale Teil des Lehrplans – das muss der Schüler sich selber beibringen oder meistens erst dann später im Berufsleben lernen.
Lehrpläne haben aber auch schwerwiegende qualitative Mängel. Geisteshaltung und Werte kann man in keinen Lehrplan pressen, so wie man sie in keine Konserve einfüllen kann. Und der Lehrplan verwechselt Wissen und Können. Er ist listet Faktenwissen, aber nicht die Fähigkeit, wie man ans Wissen kommt. So lernen die Kinder Philosophie Ausagen und die Namen und Daten von Philosophen, sie lernen aber nicht zu Philosophieren. So wie mancher Mathematiker meint, dass es die Zahl π (PHI) gäbe, aber nie verstanden hat, dass π nicht existiert. Es gibt nur einen Algorithmus, der in der Lagen ist, diese Zahl in alle Unendlichkeit (an den Limes) zu berechnen.
Lehrplane können das Wissen nicht sinnvoll bewerten. Es gibt zu viel Wissen auf dieser Welt. Alles Wissen passt in keinen Lehrplan. Also wird das Wissen bewerten, was gut genug ist und in den Lehrplan reingehört und in das Restwissen, das nicht so wichtig ist. Ein unmögliches und sinnloses Unterfangen. Ein Lehrplan wird nie die Frage beantworten können, welches Wissen konkret und aktuell für die Gesellschaft und die Zeit relevant ist. Es vermehrt sich zu schnell. Und bevor man sich umschaut ist es wieder anders.
In selbst kenne mich ein wenig in Informatik und Teilen der Mathematik aus. Die Lehrpläne, die da sehe, haben mit der Realität nichts zu tun. In der Informatik enthält der Lehrplan meistens nur ein bisschen Anwendungssoftware (natürlich von MS) und ein wenig „programmieren“. Das hat mit Digitalisierung aber nicht viel zu tun. Und in der Mathematik ist es ganz schwer. Da wird vieles unwichtiges gelernt – und das Spannende und Schöne bleibt liegen. Wobei das durchaus individuell unterschiedlich sein kann – ein grund mehr, dass ein kollektiver Lehrplan unteroptimal ist.
Diese beiden Fächer sind ein gutes Beispiel, dass gute Lehrpläne individuell sein müssen. Es gibt bei beiden Fächern so viel Spannendes, das man aufgreifen könnte und gemeinsam erarbeiten könnte. Und das gilt für alle Fächer, naturwissenschaftlich wie geisteswissenschaftlich.
Warum dürfen die Schüler sich ihre Lehrpläne nicht selber erarbeiten?
Ich könnte mir agile und selbstorganisierte Klassen vorstellen. Die in Gruppen sich am Anfang der Woche überlegen, was sie an diesem Tage und vielleicht an den nächsten paar Tagen lernen wollen. Dies begleitet und angeregt von Moderatoren, die früher die Lehrer waren. Und am Freitag präsentiert man sich dann gegenseitig, was sie tolles Neues entdeckt haben. Und vergrößert dann den Nutzen des Lernens so weiter.
Diese Art des freien Lernen würde so viel bringen. Wenn ich einen Lehrplan von den Alpen bis zur Ostsee und vom Rhein bis zur Oder habe, dann klingt das doch nach einer Monokultur und schrecklicher Einfalt. Wenn aber jede Gruppe das Lernen darf was sie will, bekommen wir eine fruchtbare Vielfalt und wissen viel mehr. Also, weg mit dem Lehrplan … Und auf die unsäglichen Schülbücher kann ich dann auch verzichten.
Die Welt ist so groß und faszinierend und passt in keinen Lehrplan und kein Schulbuch rein. Es geht um Zuhören, Verstehen, Begreifen, Weitergeben … Es geht um soziale Kompetenzen, um soziales Leben, um psychische Hygenie, um Respekt und menschliche Fähigkeiten wie Empathie um Emotionen.
Die Schule sollte doch ein Platz sein, dies alles einzuüben und zu erleben. Auch gemeinsam glücklich und fröhlich zu sein. Uns um die Zukunft zu kümmern und auch ein wenig träumen zu dürfen.
Vielleicht bräuchten wir ein paar Menschen mehr, die die Klassen moderieren und animieren und den Kindern Impulse geben und sie inspirieren. Aber das Geld sollten wir doch wirklich für Bildung aufbringen können.
Von vielen „Management und Persönlichkeitsfördernen Trainings kam ich mit gemischten Gefühlen zurück. Ich war glücklich, das ich etwas besonderes Wichtiges und für mich Neues gelernt hatte. Das war in der Regel so trivial, dass ich es schon in der Schule hätte erlernen könnne. So war ich auch unglücklich, weil ich nicht verstanden hatte, warum ich erst ein Alter von 30, 40, 50 oder 60 Jahren erreicht haben musste, bis ich das gelernt habe, was man mir als Kind hätte üben sollen.
Das waren so Fähigkeiten wie Zuhören, gewaltfreie Kommunikation, sauber logisch Denken können, dialektisch korrekt mit Sprache umgehen zu können und vieles mehr. Das meiste davon hätte ich schon mit 16 oder früher verstanden – und wie sehr hätte mir das im Leben geholfen. Beim Reich werden genauso wie beim glücklich werden.
Aber das wichtigste: Wäre ich früher gestorben, dann hätte ich das nie gelernt. Was für ein grauenvoller Gedanke! Es geht ja auch um die fünf Dinge, die man lernen sollte bevor man stirbt. Da könnte die Schule auch helfen.
Unsere Kinder (und jetzt die Enkel) leben in einer sich dynamisch Gesellschaft, die sich immer schneller ändert. Sie haben es schwer, denn sie sitzen in der Regel in einer Regelschule und müssen Wissen in sich hinstopfen und banale Kulturtechniken üben, die sie dann auch gleich wieder verlernen, weil sie diese nicht brauchen.
Die Braven lösen Kinder lösen das mit Wissensbulimie und werden seelisch krank, die Bösen mit Trotz und Auflehnung. Das geht hin bis zu Vandalismus und Selbstzerstörung.
Ich muss gestehen, dass ich durchaus oft Sympathien für die bösen habe.
RMD
P.S.
Neben dem Lehrplan besteht noch mehr Reformbedarf. Müssen Schüler wirklich Klassenzimmer haben? Sollte Schule nicht ein offener Raum für Kinder sein, der zum gemeinsamen Lernen, Erleben und Erfahren motiviert. Schau da mal die Erlebnisschaften von MS & Google an.