Vor kurzem habe ich im Artikel “Goldener Stacheldraht” beschrieben, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter in einer Art und Weise vereinnahmen, so dass diese Menschen dann im Laufe der Jahre völlig unselbstständig werden. Und das auf ganz angenehme, ja verführerische Art uns Weise.
Dieser Artikel hat eine Reihe spannender Diskussionen ausgelöst. Auch um den Zeitkäfig, in dem die meisten von uns – ob angestellt oder freiberuflich arbeitend – eingesperrt sind. Denn alles wird in Zeit gemessen, die Arbeit, die Mobilität, die Freizeit. Und stiehlt uns unsere Lebenszeit.
Wie absurd ist doch der Gedanke, dass man jede Woche eine feste Anzahl Stunden seiner Zeit abliefern muss, ganz gleich was ansteht. Das mag in einem “Tayloristischen System” einleuchten. Man steht am Fließband, macht besondere Handgriffe und bekommt für jede Stunde dieses Tuns ein Stück Geld. Aber der Taylorismus sollte doch für viele von uns Vergangenheit sein.
Die Alternative zu diesem mittlerweile uns als so selbstverständlich vorkommenden Systems waren der sicher auch schwierige Akkordlohn, der dem “Leistungsprinzip” folgt. Beim Akkordlohn wird nicht mehr nach Zeit sondern nach der Anzahl der hergestellten Teile bezahlt. In auf Kaizen basierenden Strukturen findet man analog den Gruppenakkord. Der ja auch eine positive (Teamarbeit) und eine negative (Gruppendruck) Seite. So richtig mehr gab es da nicht.
Auch die sogenannten Wissensarbeiter (die ehemals mit weißen Krägen und Krawatten unterwegs war und heute lieber Rollis tragen) werden über die abgegebene Zeit abgerechnet. Sie bekommen ein Fixum, für das sie eine Anzahl von Stunden “arbeiten”, also diese Zeit im oder fürs Unternehmen verbringen müssen. Das wird dann ergänzt durch einen variablen Gehaltsteil, der in Zielvereinbarungen (einer modernen Art von Akkordlohn) festgelegt ist.
Dieses “Denken in Arbeitszeit” hat sich in unseren Gehirnen so tief bei eingeprägt, dass wir es für ganz normal halten. Auch mir in meiner Rolle als Vorstand der InterFace AG ging das so. Es gab Werktage, da war ich nur wenige Stunden am Arbeitsplatz. Und habe in diesen wenigen Stunden oft wesentliches bewirkt. Wenn ich dann aber am frühen Nachmittag zu meinen Kindern heim gegangen bin, dann hat sich mein Über-Ich gemeldet und mir ein schlechtes Gewissen gemacht. +
In meinem neuen Leben merke ich, wie unsinnig das ist. Ich versuche Vorhaben so zu gestalten, wie sie mir wichtig sind. Uns setze soviel Zeit ein, wie fürs Gelingen notwendig ist. Und fühle mich viel freier als früher.
Ich kenne viele Freiberufler, die sich absolut autonom fühlen, aber ganz selbstverständlich im Zeitkäfig stecken. Rechnen sie doch ihren Verdienst als Stunden- oder Tagessatz über die Anzahl der Stunden ab. Bei einer der erwähnten Diskussionen in Twitter hat einer darüber gerätselt, warum sich die meisten “Freiberufler” ungern als solche bezeichnen. Und sich im Internet so meistens als Seniorberater, als Spezialist für irgendetwas oder als Geschäftsführer (der eigenen 1-Mann GmbH) vorstellen. Einer meinte als Erklärung, dass “freiberuflich” für “potentiell arbeitslos” stehen würde. Uns dies klänge doch nicht schön.
Ich denke, dass ein Freiberufler ein Tagelöhner ist – und das ist doch ein ehrlicher aber kein schlechter Begriff. Auch wenn das vielleicht ein wenig nach “Knecht” klingt. Aber wir sind doch letzten Endes alles Knechte, die einem Herrn, einem System oder einem Wahn dienen.
Es sind aber auch andere (moderne?) Entlohnungssystematiken gut vorstellbar. Gebhard Borck schlägt zum Beispiel in seinem Buch Dein Preis den Wertvertrag als eine Alternative vor. Das ist alles andere als dumm und gefällt mir sehr gut. Aufgrund der vielen und überall installierten Zeitkäfige sind solche oder ähnliche Gedanken für die meisten Freiberufler aber (noch?) Utopie oder zumindest schwer durchsetzbar.
RMD
P.S.
Das Bild ist aus Wikipedia, es stellt einen Eisenkäfig (florentinisch, ausgehendes 17. Jahrhundert), der sich im Foltermuseum in Freiburg im Breisgau befindet. Der Urheber ist Flominator.