Die Dämone meiner Kindheit.

Meinen letzten Artikel Ruhestand und Zukunft habe ich mit folgender Frage beendet:

Beherrschen Menschen ihre sozialen Systeme oder beherrschen die sozialen Systeme die Menschen?

Dieser Satz ist von meinem Freund und Lehrer Rupert Lay. Rupert hat uns im Februar des Jahres 2023 verlassen. Bis kurz vor seinem Tod hat er an seinem letzten Buch gearbeitet.

Der obige Satz ist aus diesem Buch. Das Buch ist dem hohen Alter des Autors geschuldet nicht veröffentlichungsreif und  unvollendet.

Ich habe das Privileg, es lesen zu dürfen und versuche, die Menschen zu unterstützen, die die Aufgabe übernommen habe, Ruperts letztes Buch reif für eine Veröffentlichung zu machen.

Der obige Satz hat die Dämone meiner Kindheit wieder erweckt. Ich weiß nicht mehr genau, wie alt ich damals war. Es muss vor und nach der Zeit meiner „Heiligen Kommunikation“ passiert sein. So am Ende meiner ersten Lebensdekade. Ab dem 7.  bis ins 11. Lebensjahr.

Zur Erläuterung: Meine Mutter, die Schule und die Kirche versuchten aus mir einen guten Katholiken (und Menschen) zu machen. Dazu gehörte, mich schuldig zu machen, also mir eine individuelle und kollektive Schuld einzubläuen.

Die Beichte war das Werkzeug, mit dem ich meine Schuld abtragen musste. Von meinen Eltern (stellvertretend für Gott) wurde von mir gefordert, dass ich nur das Gute zu wollen und das Schlechte sein zu lassen hatte. So wurde ich vom kleinen Realisten zum Idealisten gewendet.

Meine Mutter wollte einen frommen und braven Menschen aus mir machen. Und das wollte ich auch, durchaus auch im guten Sinne des Wortes „fromm“. Nur hat das bei mir nicht funktioniert. Das hat meine Mutter sehr geschmerzt. Und mich ziemlich verwirrt.

Damals war mir intuitiv bewußt, dass wir Menschen soziale Wesen sind. Und wir deshalb nur in sozialen Systemen, also in der Gemeinsamkeit mit anderen Menschen, leben können.

Heute bin ich wieder zum Realisten geworden. Mir ist klar geworden, dass in meiner Kindheit mich drei soziale Systeme mich besonders beeinflusst haben.

Das erste war die Familie, die aus meinen Eltern, meiner fünf Jahre jüngere Schwester und mir bestand und am Wochenende ein wenig durch Oma & Opa ergänzt wurde. Die Familie war für mich als Kind die ganz natürliche Basis meines Lebens. Ich war mir noch nicht bewusst, dass eine Familie auch nur ein soziales System ist.

Das Leben in diesem System war für mich nicht einfach. Auf der einen Seite war ich ja total abhängig und habe dort viel Vertrauen und Liebe empfangen. Vieles hat mich dort auch verunsichert, z.B. der permanente Konflikt und häufige Streit zwischen den Eltern. Das soziale System hat mich unheilvoll bedroht, wenn ich mich falsch verhalten habe. Seine Kultur  gab vor, was richtig und falsch war. Wenn ich falsch handelte, dann waren Schuld, Sühne und  Strafe die Folge. Wie oft fühlte ich mich nicht verstanden und verstand die Welt nicht.

Das zweite soziale System, in dem ich viel Zeit verbrachte, war die Schule. Gerade in den ersten Schuljahren hatten wir alte Lehrer, mit denen die Zusammenarbeit nicht lustig war. Da gab es viel law & order, mehr Strafe als Belohnung und viel Gedankengut aus einer Zeit, die zwar scheinheilig verurteilt wurde, aber immer noch kräftig lebte. Auch regelmäßige körperliche Züchtigung war Teil der normalen Interaktion. In Klartext: Es gab Lehrer, die durch und durch Nazis waren, das mühsam zu verbergen suchten und ziemlich frustiert waren, dass alle ihre Werte auf einmal futsch waren.

Das dritte soziale System, in das ich reingesteckt wurde, war die Kirche. Auch da wurde ich kräftig indoktriniert. Die Zeit der Vorbereitung auf die heilige Erstkommunikation und danach waren geprägt von dem wöchentlichen Rhythmus des Gottesdienst mit vorheriger Beichte und integriertem Empfang des Leibes Christi. Ich musste vieles glauben, dass so gar nicht stimmen konnte. Und brauchte schon ein paar Monate um mich aus diesem Teufelskreis zu befreien.

Dann merkte ich, dass der liebe Gott – wie er uns idealistisch beigebracht wurde – so weder in der Familie, noch in der Schule oder gar in der Kirche existierte!

Wenn, dann habe ich ihn am ehesten im schönen Wittelsbacher Park gefühlt, durch den der Weg von Wohnung zu Schule und Kirche führte. Und hätte schon damals am liebsten die großen Bäume umarmt. Konnte ich aber nicht, weil man mich dann für verrückt gehalten hätte.

Und heute wende ich Ruperts Frage auf die drei für mich s0 relevanten Systeme FAMILIE, SCHULE und KIRCHE meiner Kindheit an:

Beherrschen die Menschen ihre Familie oder beherrscht die Familie die Eltern und ihre Kinder?

Beherrschen die betroffenen Menschen (Kinder, Eltern und Lehrer) das System Schule oder hat sich die Schule entpersonalisiert?

Und wer beherrscht eigentlich das System Kirche?

Bei allen drei Fragen fällt mir die Antwort schwer. Bei der Familie habe ich den permanenten Streit meiner Eltern nie verstanden. Wie auch vieles andere moralische und scheinheilige, dass unser Leben geprägt hat.

In der Schule war es nicht besser in der Familie. Wir mussten soviel Sinnfreies und Blödsinniges lernen. Heute noch erscheinen mir die Lehrpläne der Ministerien als maximal unteroptimal. Und die Schulkultur ist in dem meisten Fällen völlig daneben. Wer beherrscht heute das soziale System „Schule“? Die Schüler, der Lehrkörper? Der Lehrkörper? Die Eltern? Oder das Kultusministerium.

Die Kirche war keinesfalls besser. Die Geschichte von Jesus, der von seinem (liebenden) Vater am Kreuz geopfert werden musste, nur um die Menschen von ihren Schulden zu erlösen, erlebte ich als sadistischen Unterricht. Und da ist die Frage nach der Beherrschung noch schwieriger.

Eine Lösung könnte GOTT als Herrscher über das System Kirche sein. Dass würde aber voraussetzen, dass es Gott tatsächlich gibt und er kein von den Menschen erfundenes Geschöpf ist. Dass die Gläubigen, der Klerus oder der Papst die Kirche beherrschen, kann ich mir auch nicht vorstellen.

Kleine wie große Systeme scheinen sich immer „zu entpersonalisieren“. Was sind die Ursachen dafür?

So fingen meine Zweifel an. Später im Gymnasium ging mein Problem erst so richtig los. Das schlimmste Beispiel war die deutsche Geschichte.

Wir haben in der Schule das Narrativ gelernt, dass das dritte Reich eine Art geschichtlicher Unfall war, der wesentlich durch die Katalysator-Funktion einer eigenartigen Person aus Österreich befördert wurde.

Die Geschichte des deutschen Volkes unter Hitler mit all seinen Wirkungsmechanismen hat mich zum Verzweifeln gebracht. Meine Lehrer haben mir erzählt, dass das „deutsche Volk“ diese Entwicklung nie gewollt hätte. Es wäre ja nur das Opfer gewesen. Von Hitler, dem satanischen Diktator, der die Massen demagogisch verführt hätte. Und der das ganze Schlamassel verursacht hätte. Was war das für ein Unsinn.

Den konnte ich nie glauben. Mich beschlich immer der Verdacht, dass Hitler Erfolg hatte, weil die Zeit reif dafür war. Und weil die Menschen – gerade in Deutschland –  für ihn bereit waren. Für Ordnung und Recht, Rache, Nationalsozialismus und Judenhass?

Und vielleicht haben erst die vielen begeisterten Rückmeldungen des Volkes an den Führer (Wir wollen ein Kind von Dir!) diesen zu der Person gemacht, die die Massen einnehmen konnten. Weil wer mit solchen Rückmeldungen leben muss, muss doch verrückt werden, wenn es es nicht schon ist!

Wahrscheinlich kam da viel zusammen. In der Summe hat dann den schlechten Ruf Deutschlands als militanten Staat weiter gemehrt, der z.B. auch schon vor dem 2. Weltreich den Genozid erfunden hat.

Dann wären die vielen Verbrechen gegen die Menschlichkeit keine einsame Aktion des Führers und seiner Handlanger gewesen, sondern vor allem eine „Deutsche Sache“ gewesen. Was für ein schrecklicher Gedanke!

Am Schluß will ich noch Versöhnliches anmerken. Die Deutschen haben auch ihre Kulturleistung in die Weltgemeinschaft eingebracht. Damit meine ich nicht die viel gerühmte Musik, Technik, Literatur und Philosophie ein sondern nützliche Beiträge ein, wie zum Beispiel das kaufmännische Recht, das in Deutschland entwickelt wurde (Hanse). So könnte man sagen, dass Deutschland den redlichen Kaufmann erfunden hat.

Unser Erzfeind aus Frankreich soll die Verhütung in die Welt-Gemeinschaft eingebracht haben. Man denke nur an Begriffe wie „Pariser“ und „französisch“.

Wir sind und waren auch im Gendern schon immer gut. Das meine ich positiv:

In Frankreich war es Ende des Mittelalters einer (unehelich) schwangeren Frau und späteren Mutter per Gesetz verboten, den Namen des Kindsvaters zu nennen. So wollte man die Familie und die Ehre von Männern schützen, die sich an der Dienstbotinnen in seiner Familie heran gemacht hatte (bzw. in damaliger Sprechart „der Verführungskunst der jungen Dirne erlegen ist“).

In der gleichem Epoche musste die Frau in der selben Situation in Deutschland den Namen des Vaters der Obrigkeit nennen. Denn der leibliche Vater hatte für den Unterhalt des Kindes mit zu sorgen.

Hi, was waren das für verschiedene Welten …

RMD

 

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Eine Antwort

  1. Ja Roland diese zusammenfassende Bewertung der Kindheit gefällt mir! Bei mir lief alles sehr ähnlich ab!

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