Deutschland sei entsetzt über die „Vorfälle von Köln“. Zumindest lese und höre ich das. Erlebt habe ich es allerdings im alltäglichen Leben nicht. Besonders erschüttert und völlig überrascht vom Geschehenen sind die mir immer so weltfremd scheinenden Politiker. Vielleicht geben sie sich auch nur so.
Und kaum geht die Nachricht aus Köln durch die Medien, „outet“ sich Hamburg. Da ist auch „so etwas“ passiert. Und mir fällt ein, dass ich das ja auch alles schon erlebt habe. Vor einigen Jahrzehnten in meiner Heimatstadt Augsburg.
Am Faschings-Dienstag Mitte der 60iger Jahre war auf den gesperrten Straßen der Innenstadt Augsburgs am Nachmittag immer „Närrisches Treiben“. Das öffentliche Treiben mit den vielen Menschen auf der Straße hat junge Männer (waschechte Datschiburger) auf die Idee gebracht, Ketten zu bilden und im Trubel nach Frauen zu „fischen“.
Das Ziel der Kette war, Mädels einzufangen und zu begrapschen. Und in den Ketten war auch der eine oder andere mir bekannte Oberstufenschüler oder Abiturient, der dann später zum angesehenen Bürger Augsburgs wurde. Später kam ich zu dem Schluss, dass das wohl auch so ein Ausbrechen in einer damals (für manche von uns heute unvorstellbar) total verklemmten Zeit war. Wie ein Ventil am Druckkessel.
Und vielleicht wurde es auch deswegen in Augsburg und wahrscheinlich vielen anderen Städten geduldet. Vielleicht ist damals auch nur keine Frau auf die Idee gekommen, dass man so etwas anzeigen könnte. Ist aber auch nicht wesentlich, es war eine schwierige Zeit. Und ich fürchte, dass es immer noch so ist und nur die Methoden der Unterdrückung sublimer geworden sind.
Über solche (und weitere) „Jugendsünden“ muss ich viel nach denken. Wenn ich mir vorstelle, dass die Burschen damals alle in den Knast gesteckt worden wären, ist das auch nicht die Lösung. Das gilt auch für andere vielleicht noch schlimmere „kriminelle Untaten“, bei denen wir damals das Glück hatten, nicht erwischt zu werden und so durchaus heftiger Bestrafung entkamen.
Es ist eine Binsenweisheit: Das ganze ist ein gesellschaftliches Problem. Und betrifft mehr oder weniger alle Menschen – ganz gleich ob Flüchtlinge oder „Einheimische“. Und besonders die, die archaisch sozialisiert wurden (körperliche Züchtigung, erzieherische Rohheit, religiöse Indoktrination, „klein machen“, Liebesentzug …).
Wir müssen so weit kommen, dass wir auch in Grenzsituationen (Alkohol, andere Ausnahme-Zustände, gruppendynamische Effekte …) wissen, wo wir Grenzen erreichen, die wir nicht überschreiten dürfen, weil wir sonst unsere Mitmenschen verletzen oder (be-)schädigen. Und auch über die Zivilcourage verfügen, Nein sagen zu können wenn wir Teil der Meute sind (siehe das Milgram-Experiment).
Da hilft nur Aufklärung, Bildung und vor allem viel Liebe in der Kindheit und Jugend, aber nicht Bestrafung, „Erziehung“, Moral, Religion oder der beliebte Ruf nach mehr „law & order“ und noch unsinniger „neuen Gesetzen“. So sind die Familien und die Gesellschaft gefordert. Der Staat auch, weil er das Geld für die „richtigen“ Dinge ausgeben muss und nicht, für die „falschen“. Wie das heute viel zu oft passiert!
Und beim Thema Sexualität müssen auch endlich mal die diversen Zwangsvorstellungen und die entsprechende Tabuisierung verschwinden, die übrigens oft religiös verursacht werden. Und da „manipulieren“ uns nicht nur die archaischen Religionen, sondern auch die, die sich für „modern“ halten.
RMD
P.S.
Dass die wirre Informationspolitik der Administration alles andere als hilfreich bzw. zielführend war und ist, sehe ich auch so.
P.S.1
Das schöne Bild ist aus Wikipedia und ein Eigenes Werk von Guido Radig.