Mein Boss hat gesagt, dass
ihn das absolute Vertrauen vieler Menschen in die IT überraschen würde. Er habe große Sorgen, dass mit zunehmender Digitalisierung auch größere Katastrophen Programmierfehler als Ursache haben könnten. Dass XEROX-Kopierer über mehr als 10 Jahre fehlerhaft kopiert hätten, wäre ein gutes Beispiel, was an nicht Vorstellbaren möglich wäre.
Er hätte im Internet den Vortrag von David Kriesel gesehen:
Traue keinem Scan, den du nicht selbst gefälscht hast.
In dem Video geht es um den XEROX-Skandal.
Für Interessierte:
Das Unternehmen XEROX war Ende des 20. Jahrhunderts DAS High-Tec-Unternehmen. XEROX war ein Synonym für innovative Technologie, bei professionellen Kopiergeräten war es über Jahrzehnte der Marktführer, so dass das Verb “to xerox” im amerikanisch-englischen zum Begriff für für altdeutsche “Kopieren” und “Fernkopieren”, dass sich dann im neudeutschen zu “Telefaxen” oder “Faxen” wurde. Bekannt wurde es auch durch seinen Rechner XEROX STAR, der Apple weit voraus war. Auch Smalltalk, die Mutter aller objektorientiernen Programmiersprachen, war eine XEROX-Erfindung.
Kein Mensch konnte sich vorstellen, dass bei einer “Photokopie” semantische Fehler passieren könnte. Das also die Kopie andere Inhalte haben könnte als das Original. Das passierte jedoch, wie die analoge Technik des Photokopierens digital realisiert wurde.
Ergänzend für Insider (ganz kurz beschrieben):
Ein digitaler Kopierer teilt das Kopieren technisch in zwei Schritte:
– Einscannen inklusive Komprimieren und Speichern des Bildes und
– Rekonstruieren und Ausdrucken der gespeicherten Kopie.
Bei einer Fernkopie wurde das eingescannte und komprimierte Bild über die Telefonleitung übertragen und am Ziel rekonstruiert und ausgedruckt.
Je nach Auflösung entstehen beim Scannen große Datenmengen, die fürs Speichern und Übertragen komprimiert werden.
Der berichtete Fehler trat – nicht einfach reproduzierbar – ihm Rahmen der Optimierung auf. Die optimierte Speicherung der kleinen Kacheln war fehlerhaft, so dass das zu kopierenden Bild fehlerhaft rekonstruiert wurde. Ein wichtiges Thema ist in solchen Fällen die Garbage Collection des Objektspeichers, in dem die Bilder als Konstrukt dieser kleinen Kacheln gespeichert werden.
Die Objekte werden über Handles (doppelte Pointer) abgebildet. Der Handle geht indirekt an der das Objekt an das sich im Speicher bewegende Objekt, der Pointer im Handle zeigt dann in den Speicher auf die Stelle, wo es tatsächlich ist.
Solche Fehler sind sehr zufällig und selten, deshalb oft nur schwer zu finden. Und bei XEROX war der Fehler wohl über in Jahrzehnt unentdeckt in den Produkten – und das beim Markführer.
Also: Mehr als 10 Jahre waren beim Marktführer Kopierer, auf dem Markt die kleine verfälschten. Und die konnten natürlich auch mal eine Ziffer oder ein Buchstabe sein. Also konnte eine 6 zur 8, ein A zu einem B oder ein X zu einem Y werden. Und Ausschauen und Semantik eine Dokuments ändern!
An der Aufklärung des Skandals war wesentlich ein junger Mann beteiligt, David Kriesel. Er erzählt in dem Video auf einem Kongress des ccc (chaos computer club), wie er’s gemacht hat und was er dabei erlebt habe.
Eine falsche Kopie kann zwar wirtschaftlich großen Schaden und massiven Aufwand verursachen. Sie kann einen Ruf (siehe Obama) gefährden oder zerstören. Für Menschen ist sie eher harmlos. Aber was ist, wenn die Software eine Reaktor oder eine komplexe Maschine steuert.
So ist der Vortrag von David absolut spannend! Und jeder, der mit Digitalisierung zu tun hat, sollte sich das Video unbedingt anschauen.
Anmerkung:
Ich habe mal sehr unter einem Objekt-Heap mit Garbage Collection gelitten und viele Nächte mit Fehlersuche verbracht. Und habe damals mich sehr über den Pfusch meiner Systemprogrammier-Kollegen geärgert, die mir fast ein Lebensjahr geraubt haben.
Aber er hat recht: Wahrscheinlich sind an den falschen Kopien keine Menschen gestorben. Solche Fehler sind aber auch denkbar in kritischer Software, wie zum Beispiel der Software fürs ABS beim Auto.
RMD