Ich war in Augsburg auf dem Jakob-Fugger-Gymnasium. Das begann 1960, da war unsere Schule noch stark „wirtschaftswissenschaftlich“ ausgerichtet. Das bedeutete, dass in fast allen Fächern auch immer die volks- und betriebswirtschaftlichen Aspekte berücksichtig wurden.
So auch in Geschichte. Wir haben damals gelernt, dass vor gar nicht langer Zeit Deutschland ein Konvolut von vielen Kleinstaaten war. Und wir haben gelernt, dass dies die wirtschaftliche Entwicklung gehemmt hat und Deutschland deshalb damals auch von den modernen Industriestaaten wie England ganz schön abgehängt worden ist.
Als Beleg wurden die vielen Regionalbahnen genannt, die generell immer nur kleine Serien an Lokomotiven bestellen konnten. 25 Loks, das war für die Bayerische Eisenbahn schon eine große Stückzahl. Dieses Problem ist später durch die Zusammenfassung der Länderbahnen zur Deutschen Reichsbahn gelöst worden. Die deutsche Reichsbahn hat dann Einheits-Baureihen geschaffen, die auch mal in gut vierstelliger Anzahl benötigt wurden. Das hätte den Lokomotivbau enorm in Deutschland nach vorne gebracht (damals war es Ehrensache, dass die deutsche Reichsbahn keine Lokomotiven im Ausland kauft).
Diese Theorie – Fortschritt und Wohlstand durch hohe Stückzahlen und starker standort-spezifischer Spezialisierung – mit der ja auch die Vorteile der Globalisierung begründet werden, stand hoch im Kurs. Damals hat nicht nur in der Wirtschaft das schöne Prinzip „Lieber Vielfalt als Einfalt“ nicht viel gegolten.
Bei der Digitalisierung ist Kommunikation das zentrale Element einer modernen Informations- und Wissengesellschaft, die sich schnell verändert.
Ich teile hier eine persönliche Erfahrung. denn ich nutze privat sehr ungern E-Mails. Für einen ehemaligen Ingenieur der Datenfernübertragung – ich war bei Siemens im Transdata-Labor tätig – ist es ein Graus, wenn Nachrichten wild durch die Gegend geschickt werden, dazu noch zwischen unidentifizierten Teilnehmer und mit komischen „features“ wie „cc“ oder „bcc“. Die Folgen erleben wir täglich als Spam und immer wieder als Kommunikationskatastrophen verursacht durch Irrläufer.
Wenn ich mit einer Einzelperson (z.B. als Mentor mit einem Menté oder einfach von Freund zu Freund zusammenarbeiten will) ziehe ich einen Dialog auf einer gesicherten Verbindung vor, die praktischerweise unseren Dialog auch langfristig dokumentiert, so dass ich unseren „Gesprächsfaden“ (auch thread genannt) immer ganz einfach rückwärts verfolgen kann.
Wenn ich in einer Gruppe oder einem Team zusammen wirke, habe ich heute immer das Problem mit der Raum-Zeit-Schwelle. Das ist mit Mail-Technik schwer zu lösen, die Zusammenarbeit wird immer unübersichtlicher und endet oft im Chaos.
Aber was ist mein Problem?
Ich habe mein Leben lang gedacht wie ein Unternehmer. Als Unternehmer musst Du „vertrieblich“ denken. Um „vertrieblich“ erfolgreich zu sein brauchst Du eine gute Ware und einen Kunden, der Dich mag, sonst wird das nichts (Dazu gibt es zeitnah einen Artikel „Vertrieb 2.0“ in meinem Unternehmertagebuch).
Das bedeutet auch, dass ich mich nach dem Kunden, meinem Partner richte. Wenn ich also eine neue Beziehung eingehe, schlage ich meinem Partner vor, die asychrone Kommunikation, die für eine effiziente Überwindung der Raum-Zeit-Schwelle notwendig ist, ein Chat-Programm zu verwenden. Da gibt es viele, die meisten Menschen nutzen nur eines oder vielleicht zwei aus der großen Auswahl.
Und da ich ja mag, dass mein Partner mir wohlgesonnen ist, zwinge ich ihn nicht, mein Chat-Programm zu verwenden, sondern frage ihn, welches er am liebsten nutzt und schlage ihm vor, dieses zu nutzen. So bin ich mittlerweile Nutzer von immer Chat-Programmen, die sind FB (messenger), Google (Hangout), Signal, Slack, Skype (MS), Teams (MS), Telegram, Threema, Twitter (DM) – Viber (kyrillisch) – Wcchat (chinesich) oder als Teil von Diensten wie Linkedin oder Xing und manchen mehr.
Und ich leide unter dieser digitalen Kleinstaaterei. Noch schlimmer ist es bei der Kommunikation in Gruppen oder Teams, die ein Ziel haben. Oft findet man in einem Kreis von vielleicht 10 Menschen, die etwas Gemeinsames vorhaben, kein gemeinsames Werkzeug. Und arbeitet mit – E-Mail.
Meine Lebenserfahrung ist, dass alle Projekte, in denen es keine effizienten Gruppenkommunikation gab, gescheitert sind. Und die digital gut organisierten haben gut funktioniert. Als positives Muster-Projekt habe ich die gute Zusammenarbeit im PM-Camp Orgateam Dornbirn sehr schön erlebt. Da hatten wir hangout mit dem gesamten Google-Stacj ausgesucht. Natürlich war das Werkzeug nicht der Garant für den Erfolg, sondern die Menschen im Team. Das gute Werkzeug war aber notwendig.
Bei vielen Projekten war es unmöglich, sich im Team auf ein gemeinsames kooperatives digitales System zu einigen. Diese Projekte sind ALLE gescheitert. Obwohl da auch viele tolle und fähige Menschen im Team waren.
Heute wird immer viel über die digitale Rückständigkeit Deutschlands geschrieben und geredet. Wobei niemand konkret die Ursachen dafür beschreit. Man spricht vom technologischen Rückstand, von digitaler Verweigerung, Beharren auf alten Standpunkten und nennt mangelnde öffentlich Infrastruktur.
Nach meiner Beobachtung ist die digitale Zersplitterung eine der Ursachen, die nicht so spektakulär sind aber die digitale Entwicklung schwer machen.
Eine andere könnte die totale Microsoft-Lastigkeit sein.
Zumindest da hat China zwei wesentliche Vorteile. Sie haben einen einzigen guten Chatter – das ist wechat. Da gibt es in einem privaten (zu meist ehrenamtlich betriebenen) Projekt kein Problem, sich auf eine Infrastruktur zu einigen. Und soviel Microsoft wie bei uns gibt es dort auch nicht.
Außerdem ist es in China selbstverständlich, dass man digital zahlt – und dort geht es auch einfach. Auch diskutiert dort keiner darüber, ob wegen digitaler Zahlung die Welt untergeht.
Mein Schluß:
Vielleicht ist „Vielfalt statt Einfalt“ kein gute Richtline für Infrastruktur-Dienste, besonders wenn diese sich betreffend Funktionalität und Qualität nicht unterscheiden.
RMD
P.S.
Noch eine Anmerkung zu Twitter. Da habe ich einen Nachrichtendienst, in dem ich (man) an ALL senden kann. Und wenn ich etwas interessantes finde, kann ich es retweeten. Allgemein und oder adressiert an besondere Empfänger mit @empfänger. Ich kann es aber auch an bestimmte Empfänger als DM (direct message) ganz individull weitergeben. So angenehm geht das Verbinden von kollektiv und individuell aus meiner Sicht sonst nirgends.
3 Antworten
Schau dir mal „delta chat“ an: end-to-end verschlüsselt mit PGP, Transport ist via Mailprotokoll (SMTP, IMAP).
=> dezentrale, bestehende Infrastruktur, nur Standardprotokolle, Open Source…
Implementierung des Client für Android auf dem playstore oder auf fdroid, für iOS im appstore, auch unterstützt in Thunderbird68 via plugin.
Danke für den Hinweis!
Die längst vergessene, standardisierte Lösung für die beschriebenen Probleme, die wahrlich nicht nur Ihre sind:
https://de.wikipedia.org/wiki/Usenet