Gerne bin ich in Sachen “Vortrag” unterwegs. Meine Vorträge halte ich vor allem für liebe Freunde und “gute Sachen”. Dabei versuche ich, keine Wahrheit zu verkünden, sondern gerade auch die Gedanken, von denen ich selber überzeugt bin, in Frage zu stellen.
😉 Weil ich in mir die “Wahrheit” fühle, dass es eben keine Wahrheit gibt.
Das ist ein schwieriges Thema. Man denke an den Satz:
“Toleranz ist das höchste Gut. Intoleranz ist nur gegen Intoleranz erlaubt. Aber da muss sie sein!”
Denkt ein wenig nach, und Ihr merkt schnell, wo hier “der Hund begraben ist”.
Zurzeit spreche ich überwiegend zu Themen wie “Führung”, “Unternehmertum” und “Digitalisierung”. Wenn ich einen Vortrag halte, dann lerne ich immer am meisten. So war es auch vorgestern in Kolbermoor als Gast bei der Tech-Division, einem Unternehmen, das ich sehr positiv erlebe. Die Tech-Division sitzt in Kolbermoor in der “Alten Spinnerei”, einem wunderschönen Loft-Bürogebäude.
Die Überschrift meines Vortrages zum Thema der digitalen Transformation war diesmal:
Was bei der Digitalisierung gerne vergessen wird!
Da ich für alle Zuhörer etwas dabei haben will, bringe ich immer so eine Art “kritisches Potpourri” mit. Ich arbeite wesentlich mit Metaphern. Ich versuche, den Vortrag keiner Struktur zu unterwerfen. Deshalb spreche ich auch prinzipiell ohne Folien (bei großem Auditorium nutze ich emotionale Hintergrundbilder).
Wichtige Standards der Kommunikation (wie Dreisatz oder Fünfsatz, Syllogismen und Logik allgemein) nutze ich nur innerhalb der Bausteine meines “Potpourris”. Früher habe ich viel “Vertriebs-Vorträge” gehalten. Da wollte ich manipulieren oder zumindest die Zuhörer von meiner Wahrheit überzeugen.
Das ging so:
Ich habe im Vortrag eine (plausible und von meinen Zuhörern gut nachvollziehbare Annahme) X aufgestellt und dann eine logische Kette gebildet: Aus X folgt A , aus A folgt B … und aus Y folgt Z. So habe ich aus X die Botschaft Z abgeleitet und wollte damit beweisen, dass aus einer allgemein gültigen Annahme X, die jeder einsieht, sich eine Folgerung Z ergibt. Z war meine Botschaft, ich wollte die Zuschauer dazu bringen, dass sie sich Z zu eigen machen. Das ist vorbei.
Allgemein arbeite ich in meinen Vorträgen gerne mit Analogien. So beschreibe ich ein Prinzip oder einen Sachverhalt, die eigentlich mit dem Thema nichts zu tun haben, die aber eine Botschaft enthalten, die man auf andere Prinzipien oder Sachverhalte anwenden könnte. Und abhängig von der Einschätzung des aktuellen Moments berichte ich auch noch die Analogie – oder lass die Zuhörer sie selber finden.
Ich bringe ein Beispiel:
Wenn ich über Digitalisierung rede, geht es auch um Infrastruktur. Infrastruktur ist ein spannendes Thema. Wir leben im Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen. Der Mensch hat die Welt wesentlich bis total verändert, dies mit dem Schaffen ganz neuer Infrastrukturen und Technologien. Angefangen hat das schon bei den “Menschenartigen”, von denen wir abstammen.
Zuerst kam vor langer, langer Zeit der aufrechte Gang, die (daraus resultierende ?) Entwicklung von Werkzeugen, dem Entstehen von Denken und Sprache (vor 10.000 Jahren?) gefolgt von der “Verschriftung” von Sprache (vor 5.000 Jahren?). Diese Innovationen haben wohl die “Informationsgesellschaft” eingeleitet oder zumindest erst ermöglicht.
Gestartet wurde das Bilden von Infrastrukur im mobilen Bereich wohl mit der Entwicklung von Pfaden, die das “zu Fuß gehen” erleichtert haben. Mit der Erfindung des Rades (3000 Jahre vor Christi ?) mussten erste Formen von “Straße” entstehen. Eine wichtige Rolle in der Mobilität hat immer das Wasser (Meer, Flüsse, Seen …) gespielt. So entstand ein Binnen-Netz von Kanälen. Weiter ging es mit Postkutsche, Eisenbahn und mechanisierten und motorisiertem Individualverkehr. So wurde das Straßennetz in einem unvorstellbaren Maß ausgebaut.
Aber nicht nur Menschen und Güter müssen mobil sein. Auch die Geschichten der Menschen brauchten Mobilität. So wurde die Aufgabe des Kuriers erfunden. Die Brief-Post entstand, die Übertragung per Leitung oder Funk, Netze wie das Fernschreib-, Telegramm- oder später Telefonnetz. Heute ist es das Internet. Die Voraussetzung für all das war die Elektrizität. So entstanden Stromnetze für den Transport von Energie …
So berichte ich im Vortrag “Digitalisierung” gerne von der in meiner Einschätzung größten Infrastruktur aller Zeiten – dem Straßennetz. Wahrscheinlich gelange ich mit dem Auto an fast jeden Punkt auf dieser Welt, wo Menschen wohnen. Überall – sogar auf kleinen Inseln – gibt es Parkplätze, Straßen, Tankstellen und Reparaturwerkstätten für Autos. Jeder Mensch bekommt wahrscheinlich Waren geliefert, die mal in einem Lkw oder Pkw befördert worden sind.
Es gibt kaum soviel Regeln und Gesetze wie in der individuellen Mobilität, die uns vorschreiben, was wir zu tun haben und wie so ein Fahrzeug aussehen muss. Es gibt ein Mindestalter und man braucht einen Führerschein, um sich motorisiert in dieser Infrastruktur zu bewegen.
Mir stellt sich (natürlich) die Frage, was das alles genutzt hat, wenn ich die Ergebnisse sehe: 1.400 Millionen Verkehrstote pro Jahr weltweit. Daneben gesundheitliche Schäden ohne Ende durch Lärm und Abgase. Aber auch indirekt durch Bewegungsverlust und Verfettung. Eine zu betonierte Landschaft. Und vieles mehr. Da liegt doch der Gedanke nahe, das da etwas falsch gelaufen ist. Und, dass man vielleicht aus der Geschichte etwas lernen könnte.
Im Vortrag nehme ich diese große Infrastruktur und den Weg dorthin als Metapher für technologische Entwicklung (Digitalisierung ist für mich ja nur Teil von Technologie). Als Redner muss ich jetzt entscheiden:
Soll ich das explizit machen? Ich rede ja über “Digitalisierung”. Deshalb kann ja jetzt jeder mal ganz von selbst auf die Idee kommen, zu überlegen, wie die Metapher des Straßennetzes für das “Digitale Netz”, sprich dem Internet verwendet werden könnte.
Ich kann auch verbal die Menschen anstoßen, darüber nach mal zu denken und ein paar Impulse geben.
Ich kann aber auch ausführlich Fakten berichten, die zum Nachdenken anregen: Dass das Verkehrsnetz fast jeden Menschen erreicht. Das Internet erreicht zurzeit aber von zirka 8 Milliarden nur etwa 2 Milliarden. Facebook soll angeblich 1 Milliarde Menschen erreichen. Angeblich, weil es Quellen gibt, dass es “nur” 500 Millionen sind.
Ich könnte die Menschen fragen, was es eigentlich heißt, ein “digitaler” Mensch und Teilnehmer im Internet zu sein. Reicht es, wenn ich E-mail nutze, chatte, in Facebook bin und gelegentlich in Wikipedia (ist ja auch nur ein Lexikon) etwas nachschaue? Oder muss ich um der Definition zu genügen ein aktiver Teilnehmer sein? Man denke an das schon lang vergessene aber gar nicht so alte Buzzword vom Web2.0 (Menschen werden von “Teilnehmern” zu “Teilgebern”)!?
So versuche ich ganz bewusst möglichst “chaotische” und “verwirrende” Vorträge zu halten. Und freue mich über jede schöne Rückmeldung. Besonders gerne wenn sie dann ein wenig eingeschränkt wird mit Bemerkungen wie “… so klar strukturiert war es aber leider nicht …” oder “… wenn auch der roten Faden hin und wieder verloren ging …”
🙂 Weil ich dann mein Ziel erreicht habe!
RMD
P.S.
Noch ein Tipp: Wer etwas über Digitalisierung lernen will – eben wie das so funktioniert – dem empfehle ich die Lektüre von Fefe’s Blog, die “BILD-Zeitung für Nerds” (scherzhaft). Da kann man zu vielen Aspekten lernen.
Eine Antwort
Titel meines Vortrages war ja:
“Was bei der Digitalisierung gerne vergessen wird?”
In einem Kommentar wurde nach der Antwort gefragt und auch gleich eine vorgeschlagen:
Der Mensch.
Finde ich gut. Aber es gibt noch mehr:
Die Zukunft. Der Planet. …