Das Thema des Artikels
Hier eine von mir erlebte Geschichte, die ein Beitrag zur Digitalisierung im deutschen Maschinenbau in der zweiten Hälfte der 80iger Jahre des letzten Jahrhunderts ist. Ich habe sie als IT-Lieferant selbst erlebt. Die Maschinenbau-Unternehmen haben damals erfolgreich begonnen, die PRODUKTIVITÄT in der der Industrie durch AUTOMATISIERUNG zu steigern und sie mit DIGITALISIERUNG noch weiter zu optimieren. Da wurde aber auch viel falsch gemacht.
Die Geschichte
Es war die Zeit, als die InterFace als junges Unternehmen noch eine GmbH war und den schönen Beinamen Connection hatte. Sie stand damals für HIT/CLOU und UNIX.
Durch Zufall hatten wir einen Münchner Hersteller von Werkzeugmaschinen kennen gelernt. Ich nenne das Unternehmen mal HELP (erfundener Name) und kürze den Namen im folgenden mit H! ab.
H! war ein wirtschaftlich sehr erfolgreiches Maschinenbau-Unternehmen, das seit Generationen im Geschäftwar uns eine große Tradition hatte und trotzdem als sehr innovativ galt.
Der Hintergrund (IT und OT)
Dazu muss man wissen, dass es bei der Automatisierung von Fabriken und Produktionen aller Art zwei wichtige Begriffe gibt. Das sind OT und IT, die man verstehen und unterscheiden muss.
OT
OT steht für Operational Technology und überwacht und steuert mit Schaltern und Sensoren physische Geräte. OT gab es schon vor der Digitalisierung. Aus elektrisch-mechanischen Schaltern und Sensoren wurden Steuerungs- und Überwachungssysteme für Fertigungs-, Transport- und Versorgungsunternehmen realisiert, schon lange bevor es IT gab.
Als anschauliches Beispiel für OT kann man sich einen technischen Versorgungsraum voller Schaltschränke vorstellen, die z.B. am Anfang des letzen Jahrhunderts das Klima und die Belüftung eines Wolkenkratzers in New York steuerten, in dem natürlich auch schon Aufzüge gefahren sind – dies auch ohne IT!
OT wurden besonders auch in den Fabriken eingesetzt – für Automatisierungs- und Leittechnik sowie an der Manufacturing- Execution-Schnittstelle.
In Deutschland waren die Produkte der Marke Simatic von Siemens für OT am Bekanntesten,
IT
Informationstechnologie (IT) steht für Informationstechnologie oder Informationstechnik. Damit ist der gesamte Sektor der technischen und kommunikationsorientierten Informationstechnologie gemeint. Er umfasst das Internet inklusive aller digitaler Hardware und Software, also allem was „digital“ ist.
OT goes IT
Die Substitution von OT durch IT besonders in den Bereichen Steuerungs-, Leit- und Automatisierungstechnik findet seit Jahren massiv statt und wird gerne als „Internet of Things“ (IoT) bezeichnet. OT ist auf dem Rückzug, IoT die Zukunft und wurde auch unter schlagwort Industrie 2.0 oft beschworen.
Die Geschichte
H! baute mächtige Werkzeug-Maschinen, mit denen auch individuelle Produkte in kleinen Stückserien bis hin zur Losgröße 1 automatisch durch externe Vorgaben hergestellt werden können. In der alten „OT-Welt“ erfolgte dies durch Steuerung mit einem Lochstreifen, einem Kartenstapel, codierten Plastikscheiben oder ähnlichen Informationsträgern, die von der Maschine mechanisch interpretiert und abgearbeitet wurden. Mit dem Emporkommen von leistungsfähigen und bezahlbaren Rechnern war es klar, dass die digitale Welt mit ihren programmgesteuerten Rechensystemen solchen Technologien in vielen Punkten überlegen waren und diese früher oder später ablösen würden.
H! plante also, die alten Steuerungen an ihren Maschinen durch digitale Steuerungen zu ersetzen. Dazu brauchten sie Rechner, die Produktions-Programme abarbeiteten und die Maschine durchs Programm vorgegeben steuerten.
Die Anforderung des Kunden
Der Kunde hatte ein paar uns überraschende Wünsche. Es sollte ein PC sein, der industriellen Ansprüchen genügt und auf dem ein solides Unix läuft. Alle Teile im Rechner sollten total identisch sein und langlebig eingesetzt werden.
Wir kamen ins Spiel, da die InterFace Connection damals ein Synonym für Unix war.
Der oberste Anspruch von H! war Qualität. Das bedeutete, dass die Maschinen stabil und fehlerfrei laufen mussten. Die komplizierten Maschinen von H! liefen überall in der Welt. Und die Wartung sollte vom Werk aus erfolgen, auch weil eine Fehlersuche vor Ort sehr aufwändig gewesen wäre. Und remote (als Ferndiagnose) war damals noch nicht sinnvoll möglich.
Der Kundenwunsch
Wenn mechanische Maschinen einfach und klar konstruiert und in hoher Qualität produziert werden sind, dann laufen sie stabil. Das ist das Erfolgsrezept eines Maschinenbauers.
Jetzt wird stabiles Eisen um eine digitale Maschine mit Software-Betriebssystem ergänzt. Und dann noch durch Anwendungs-Software erweitert, die das „Eisen“ auch noch steuern soll!?
Wie sichert man da die Qualität und schafft die Basis für eine einfache und schnelle Fehlersuche?
Der Maschinenbauer verlangte eine absolute Reproduzierbarkeit der Fehler. Um das zu erreichen, sollte jede Maschine über einen gleichen Rechner, der völlig identisch zum Referenzrechner im eigenen Werk sein. Oder umgekehrt, der Referenzrechner sollte 1:1 genauso sein wie der Rechner an der Maschine beim Kunden!
(Man muss bedenken, dass es ein Internet oder auch nur Modem damals noch nicht gab, so dass eine Online-Wartung nicht möglich war).
Er will also über all auf der Welt völlig identische Rechner haben. Das war für unseren Kunden unabdingbar und wir konnten es ihm nicht ausreden!
Das Problem
Die Geschwindigkeit, mit der sich IT damals entwickelte, war unser Problem! Interessanterweise war die Hardware das größteProblem. Denn so ein PC besteht aus ziemlich viel wichtigen Einzelteilen. Neben dem Taktgeber hängen am Bus der Prozessor, Arbeitsspeicher und Plattenspeicher, externer Speicher sowie die Komponenten für diverse Schnittstellen dran. Und die für Betrieb notwendige Elektrik ist auch im Gehäuse.
Und alle diese Teile wurden mit hoher Geschwindigkeiten weiter entwickelt. Und laufend wurden schnellere, leistungsfähige und billigere Technik in die Produktion der Rechner eingebracht. So fanden wir keinen HW-Lieferanten, der bei der Lieferung eines namens- oder typ-gleichen Rechners die selbe Ausstattung der HW auch nur über mehrere Monate uns zusichern wollte und konnte.
Unsere Aufgabe
Wir sollten über zwei Jahre eine auf 50 bis 100 Stück geschätzte Anzahl sofort einsatzfähiger Rechner-Systeme liefern, die in allen HW- und SW-Komponenten bis ins letzte Detail absolut identisch waren und beim Eingang auch darauf kontrolliert werden sollten.
Der Kunde ist König. Und auch das Thema reizte uns. Wir konnten unseren Kunden nicht überzeugen, dass seine Anforderung Unsinn war. Also versuchten wir seine aus unserer Sicht unsinnige Forderung zu erfüllen.
Denn wir hätten mit ihn ihm auch gerne noch mehr Geschäfte gemacht, wie z.B. die Steuerungsprogramme geschrieben. Aber dazu kam es nicht, das hat ein anderer gemacht,
Die Lösung
So gingen wir ins Risiko und haben 70 komplett identische System bestellt. Und in unseren Keller eingelagert, mit der Hoffnung, den Kunden dann doch im Lauf der Zeit überzeugen zu können.
Das Risiko habe wir eingepreist, so wurde die Rechner sehr teuer. Zirka drei Stück im Monate haben wir dann mit der Steuersoftware bestückt und dann ausgeliefert. Am Anfang lief es ganz gut.
Das Ende!
Dann passierte es: Unser Kunde H! meldete überraschend Insolvenz an. Und wir hatten noch die Hälfte der PCs im Keller. Unverkäuflich, weil total veraltet – fabrikneuer Sperrmüll.
Aber die Forderung für einen Teil der Lieferungen und die vereinbarten Folgeaufträge waren weg.
Happyend für die IF Connection!
Drei Jahre später kam das Geld vom Konkursverwalter zurück! Denn H! hatte ein paar Grundstücke im Unternehmensvermögen gehabt. Und die waren so wertvoll geworden, dass damit alle Gläubiger befriedigt werden konnten.
Die Lehre aus der Geschicht!
Wir haben daraus nicht nur gelernt, dass es keinen Sinn macht, wenn man in der Digitalisierung nicht mitmacht. Man muss die Regeln und das Funktionieren der neuen Technologie aber auch verstehen und sich den neuen Spielregeln anpassen.
Dann darf man eine neue Technologie nicht falsch einsetzen. Innovation ist kreative Zerstörung und zerstört auch Prinzipien, die in einer alten Welt richtig waren.
In diesem Fall wurde das Tempo der technologischen Entwicklung unterschätzt. Bei Digitalisierung muss man schnell sein. Damals waren die Rechner oft gerade geliefert schon wieder veraltet. Schon war das nächste Platte da, dies schneller und kleiner, mit 4 Mal mehr Speicher – aber zum deutlich geringeren Preis. Oder der nächste Prozessor, zierlicher und zehn Mal schneller zum Bruchteil des Preises seines Vorgängers. Wenn man das nicht nutzt und sich durch starrsinnige Regeln vom Fortschritt freiwillig abhängt – ja – dann macht man halt pleite.
RMD