Ja, wie soll das gehen? Leben wir doch fast nur noch in sozialen Systemen, in denen alles geregelt ist! Es fängt im Kindergarten und Straßenverkehr an, in der Schule geht es weiter. Und wenn wir dann als Bürger im Staat oder als Angestellter im Unternehmen ankommen, schwappen die Regeln nur noch so über einen zusammen. Und dann kommt noch die Moral dazu!
Das Labyrinth von Regeln, Gesetzen, Vorschriften, Verordnungen und der dasmachtmanso’s wird immer größer und zu einem komplexen Wirrwarr, der meistens in sich widersprüchlich ist.
Und dann schreiben der Reed Hastings (immerhin der Gründer von netflix) und Erin Meyer ein Buch, das als Titel Keine Regeln hat! Und behaupten, dass der bewußte Verzicht auf Regeln im Unternehmen die wichtigste Ursache für den außergewöhnlichen Erfolg von netflix gewesen wäre.
Wie war das bei der InterFace Connection?
Die ersten Jahre hat dort das Arbeiten großen Spaß gemacht. Wir waren richtig erfolgreich. HIT/CLOU wurden in wenigen Jahren zum Marktführer bei der professionellen digitalen Erzeugung von individuellen Geschäftsdokumenten aller Art in Europa.
Vielleicht lag das daran, dass wir – wie netflix – eine regelfreie Firma waren. Zum einen, weil wir soviel Arbeit hatten, dass wir gar keine Zeit hatten, Regeln zu erfinden und auszuarbeiten. Zum anderen, weil wir nur junge Mitarbeiter hatten. Die haben wir als Erwachsene behandelt und haben von ihnen erwartet, dass sie gemeinsam mit Kollegen entscheiden sollten. Eine junge Frau (die Heidi) hat das Kaufmännische und alles andere bei uns gemacht hat. So haben die jungen Kollegen gemeinsam mit ihr alles, was bei uns anstand, selbstständig entschieden. Das wollten sie auch, und hat allen gefallen!
Das war genial und hat zu 99 % hervorragend funktioniert. Wolf und ich (die Gründer und so das Management) konnten uns so voll auf unsere Arbeit als Consultants bei diversen Kunde konzentrieren und das Geld verdienen, das wir für den Start des Unternehmens brauchten. Abends kamen wir dann in die Firma und haben uns berichten lassen, was alles passiert ist und waren meistens sehr zufrieden. Und haben „nur“ versucht die Mitarbeiter zu inspirieren und ihnen Impulse zu geben.
Regeln sind giftig
Regeln machen Menschen unmündig. Unmündige Menschen brauchen Regeln. Sie wollen noch mehr Regeln. Die machen Menschen noch unmündiger.
Das ist einer der vielen paradoxen Kreisläufe des Lebens. Besonders gut kann man das in Deutschland beobachten. Im gesamten Leben, in den Unternehmen und auch in der Politik. Und die EU reguliert alles noch mal durch.
Wie geht das, ein Unternehmen ohne Regeln?
Später haben wir dann bei der InterFace AG auch viele Regeln eingeführt. Die Welt wurde scheinbar immer komplexer. So machten wir mehr Regeln. Mit jeder Regel wurde die Welt aber noch komplexer. So brauchten wir weitere Regeln und sie wurden immer mehr. Und wenn sie nicht gestorben sind …
Unter anderem hat mich ein Partner im Vorstand überzeugt, dass wir ein ISO-Zertifikat brauchen. Mit 9001 fing es an, mit 27001 ging es weiter. So wird zementiert, so entstehen Alpträume.
Ich habe damals auch geglaubt, dass kollektive Vereinbarungen (sogenannte Betriebsvereinbarungen) einfacher zu handhaben wären als individuelle. Und dass in einer ordentlichen Firma alles geregelt sein muss.
In diese Falle bin ich reingetappt und das Unternehmen wurde zu betoniert. Und aus dem schönen Park der InterFace Connection wurde eine steinerne Landschaft. Und es scheint schwierig bis unmöglich, den Beton wieder aufzubrechen.
Heute bin ich mir sicher, dass Regeln der falsche Weg sind. Sie geben vermeintliche Sicherheit und schränken Freiheiten ein. Die Aussage von Benjamin Franklin (1706-1790)
» Jene, die grundlegende Freiheit aufgeben würden, um eine geringe vorübergehende Sicherheit zu erwerben, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit. «
» Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety. «
nehme ich sehr ernst und erinner immer gerne an diese wichtige Weisheit. Wie auch die Frage
Welche Voraussetzungen muss am erfüllen, um auf Regeln in einem Unternehmen verzichten zu können?
Auf Regeln kann man nur verzichten, wenn es eine Kultur gibt, die diese unnötig machen und die Menschen ihre Freiheit eigenverantwortlich nutzen können. Die erste notwendige Bedingung habe ich schon erwähnt.
Menschen müssen wie Erwachsene behandelt werden!
Diese Regel haben Wolf und ich bei der Gründung ganz intuitiv eingehalten, weil unser Menschenbild so war. Unsere Mitarbeiter waren zwar jung, aber gut ausgebildet. Sie waren keine Kinder mehr, sondern junge Erwachsene. Sie wollten einen guten Job machen und haben vieles richtig gemacht. Regeln haben ja den Zweck, sie sollen eine Ordnung schaffen, an die sich alle halten. Das gelingt selten. Als Nachteil fixieren sie Zustände und Besitzstände, erschweren Kommunikation und verhindern Veränderung schwer.
Aber wie kann ohne Regeln eine Ordnung entstehen?
So ist bei uns eine „gute“ natürliche Ordnung entstanden, quasi „autmatisch“. Die hat gut funktioniert, auch weil alle an ihr beteiligt waren.
Das oben erwähnte Buch zu netflix fasst die Antwort zusammen:
Es ist die Kultur des Unternehmens!
Reed und Enrin beschreiben auf zirka 100 Seiten (das ist ein Fünftel des Buches) eine Feedback-Kultur, die allen Beteiligten (Management, Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten wie allen sonstigen Stakeholdern) hilft. Und zwar nicht nur beim Entscheiden gut zu sein, sondern auch beim stetig besser Werden. An zahlreichen Beispielen zeigen Reed und Enrin, wie das Prinzip funktioniert. Sie zeigen aber auch, dass ein Unternehmen, welches auf Regeln verzichten will die richtigen Mitarbeiter braucht.
Die Mitarbeiter müssen besonders sein und Potential haben.
Die Feedback-Kultur funktioniert nur, wenn die Mitarbeiter über ein Potential verfügen, das sie ins Unternehmen einbringen und weiter entwickeln wollen. Und – so im Buch – sie müssen besonders sein. Was meint „besonders“? Ich habe verstanden, dass unter „besonders“ verstanden wird, dass man nicht mittelmäßig sind. Denn Mittelmäßigkeit ist ein großes Problem unserer Zeit (wahrscheinlich das Große)) . Ich gehe davon aus, dass
Entmündigte Menschen zur Mittelmäßigkeit neigen.
Also Augen auf bei der Mitarbeitersuche!
Ich habe fast immer gute Erfahrungen gemacht, wenn ein Mitarbeiter einen Freund oder Kollegen empfohlen hat. Es gibt einen Grundsatz, den ich immer versucht habe, selbst zu befolgen. Stelle nur Leute an, die besser sind als Du selbst! So war das auch bei den Kollegen. Die haben mir ihre Freunde mit den Worten empfohlen „Der kann besser programmieren als ich!“ Das hat mir gefallen.
Vorsicht vor Stinkstiefeln
Im Buch wird auch schön gezeigt, wie sehr ein Einzelner ein gut funktionierendes System stören bzw. zerstören kann. Leider haben soziale Systeme kein Immunsystem gegen Stinkstiefel. Und wenn die Anomalien erst mal aufleben, ist es zu spät. Also genau hinschauen und wenn es nicht passt, rechtzeitig eine Trennung vornehmen. Es gilt – wie immer im Leben: „Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“!
Zusammenfassung
Ich bin überzeugt davon, dass man in einer Kultur, die auf Augenhöhe, Respekt, Offenheit und Vertrauen fusst, gemeinsam ein Feed-Back-System entwickeln kann, dass es möglich macht, auf komplexe Regelwerke zu verzichten. Die richtigen Maßnahmen sind dynamisch wie Peer-2-Peer-Feedback und nicht Regeln, Verordnungen und Vereinbarungen.
Zum Schluß zähle ich nochmal auf, was ich nicht mag:
Das sind Verordnungen und Vereinbarungen für Dienstreisen, den privaten Gebrauch von Betriebsmitteln wie Laptop oder Mobiltelefon, Arbeitszeit und Überstunden, Nutzung des Geschäftswagen, Home-Office-Nutzung, Gesundheit am Arbeitsplatz. Aber auch Prozesse aller Art, gleich ob sie den „Vertrieb“ oder das „Human Ressource“-Themen wie Mitarbeitergespräche und ähnliches regeln. Was sind das auch schon für fragliche Begriffe!
Ja, ich bin überzeugt, dass ich (niemand) keine Anleitung brauche, wie ich das jährliche (!) Mitarbeitergespräch oder den Kundendialog zu führen habe. Wichtig ist, dass meine Freunde, Mitarbeiter und Partner mir rück melden, wenn ich Vertrauen zerstöre oder Menschen respektlos behandle. Oder auch wenn ich es mal sehr gut gemacht habe.
RMD