In meinem Enge & Mief – Artikel habe ich berichtet, unter welchen Umständen ich drei Monate in Ulm als Wehrpflichtiger gehalten wurde. Da sollte ich zu einem Soldaten ausgebildet werden, der sein Vaterland verteidigt. Und bereit ist, dafür zu töten und verpflichtet, das eigene Leben zu geben.
Sogar Molotow-Cocktails bauen habe ich gelernt
Ich habe das Schießen und den Umgang mit Waffen wie Handgranaten und Panzerfäusten gelernt. Sogar auf den Endkampf wurde ich vorbereitet! So wurde mir vermittelt, wie man in aussichtsloser Lage Molotow-Cocktails bauen kann, um sich damit noch ein bisschen gegen die Panzer zu wehren, die in unsere Städte einreisen.
Es hat nichts genutzt
Meine Wehrhaftigkeit wurde eher reduziert, da ich vor allem das Saufen und „Chillen“ lernte. Und mir die Sinnlosigkeit eines jeden Krieges noch klarer wurde.
In den Enge & Mief – Lokationen in den Branchen „Schlachten und Ernten“, wo das Corona-Superspreading immer wieder passiert, sind die Bedingungen deutlich besser, als sie damals in der tristen Kaserne am Kuhberg in Ulm waren.
Vom Neun-Bett-Zimmer zum Drei-Bett-Zimmer
Bundeswehr hieß 9-Bettzimmer – Schlachten und Ernten heute bedeutet 3-Bettzimmer. Der Hauptunterschied aber besteht darin, dass die Schlachter und Ernter ihren Job freiwillig machen. Ich dagegen war bei der Bundeswehr alles andere als freiwillig.
Jetzt will die Bundesregierung Mindeststandards für die Unterbringung von Saison-Arbeitskräften festlegen und Werkverträge in diesen Branchen in vielen Fällen verbieten.
Da kommt meine Kritik: Das ist wieder mal ein Herumschrauben an den Symptomen. Besser wäre es, die Ursachen zu beseitigen. Die dem Konstrukt der Europäischen Gemeinschaft geschuldet ist.
Missstände werden sollen mit Verboten korrigiert werden. An die Ursachen wagt man sich aber nicht. Weil dies ja auch nachvollziehbarer Weise unmöglich erscheint.
Gewinner und Verlierer des großen Marktes
Der Kardinalfehler der EU ist ja das Ziel: Ein großer gemeinsame Markt! Regionen werden zusammengefasst in einem Wirtschaftsraum, der völlig unterschiedliche Situationen bei Einkommen, Vermögen, Lebenskosten, soziale Strukturen usw. hat. Einem Markt, den die Starken beherrschen und siegen. In dem die Schwachen verlieren und aufgeben. Dem zu Folge die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer werden.
Rumänien ist ein gutes als Beispiel. Die sind noch nicht im Euro und haben so noch eine eigene Währung, den Leu (Mehrzahl Lei). Ein Leu kostet uns zurzeit (August 2020) 0,21 Euro, d.h. für einen Euro bekommen wir abgerundet 5 Lei. Wahrscheinlich ist es gut, dass Rumänien noch nicht „im Euro“ ist. Wahrscheinlich für beide Seiten.
Ein zentrales Problem sind die Einkommen. Es gibt zwar Mindestlöhne. Die gelten aber für nur für einzelne Bereiche (Bauindustrie) und Qualifikationen (Akademiker). Es sind Bruttozahlen. Sieht man sich Lohnstatistiken an, fällt auf, dass die Gehälter sehr niedrig sind.
Leben wird teurer, Einkommen sinken
Die Lebensmittelpreise aber steigen. Auf meiner Radtour nach Constanța habe ich festgestellt, dass ein Joghurt im Plastikbecher im normalen Supermarkt in Rumänien teurer ist als bei uns im Discounter.
Ich kürze ab: Monatseinkommen unter 300 Euro sind in einem Land wie in Rumänien keine Seltenheit. Und Land- und Hilfsarbeiter dürften auch in Rumänien am unteren Ende der Einkommensskala liegen, das heißt da noch deutlich drunter. für viele Rumänen und Rumäninnen dürfte ein Jahreseinkommen von 3.500 Euro nur schwer schwer zu erreichen sein.
In vier Tagen oder zwei Monaten ein Jahresgehalt
Geht der Rumäne für 8 Wochen nach Deutschland und klotzt er richtig rein, schafft er 250 Stunden im Monat. Schon bei einem Stundensatz von nur 7 Euro hätte er dann in knapp zwei Monaten sein Jahresgehalt erreicht.
Dafür sind die Menschen bereit, ein kaserniertes Leben fern der Heimat auf sich zu nehmen. Und es verwundert auch nicht, dass junge Frauen sich im gelobten Land verkaufen, wenn sie in ein paar Tagen ein Jahreseinkommen erzielen können,
Einheitliche Business-Regeln können in so im großen Europa bei solchen Unterschieden in den wichtigsten Rahmenbedingungen nicht funktionieren, sondern führen zwangsläufig zu Situationen. Das ist und war immer klar.
Glas Gurken ist billiger als öffentliches WC
Oft habe ich den Eindruck, dass wir diese Auswüchse ganz gerne sehen. Auch ich esse gerne Spargel und Essiggurken. Bei uns zu Hause kamen die Gurken noch aus dem Schrebergarten. Mein Vater hat sich viel Arbeit (und auch Freude) damit gemacht. Meine Mutter hat die Essiggurken in echten Weck-Gläsern „eingeweckt“.
Heute gibt es die Essiggurken inklusive eines wunderschönen Glases mit einem praktischen Metalldeckel beim Discounter. Sie kosten dort weniger Geld, als für einmal „öffentlich Bieseln“ verlangt wird. Und das Glas geht anschließend in den Container.
Verbote schaden uns wie den Anderen
Wenn wir mit Verboten eingreifen, schaden wir uns und den Menschen aus dem EU-Ausland. Rumänien ist ja nur ein Beispiel für das Gefälle innerhalb Europa. Es noch mehr Länder mit ähnlich niedrigen Gehältern. Und hinter den europäischen Grenzen warten Menschen in Ländern wie der Ukraine und Weißrussland auf ihre Chance …
Ich möchte betonen, dass ich absolut für ein offenes und freies Zusammenleben in Europa bin. Nur, die Regeln müssen halt vernünftig sein. Arm und reich darf nicht zementiert sein. Wenn es allen gut gehen soll, müssen die Reichen ein wenig von ihrem Wohlstand und ihrer Bequemlichkeiten abgeben.
Das Gegenteil passiert
Und es fällt auf, dass die Realeinkommen – zumindest laut Statistik – in Ländern wie Deutschland in den letzten Jahren gestiegen und in Rumänien gefallen sind …
Aber mit Verboten, die ein Zusammenwirken betreffen, das sich in einem gestörten System eingespielt hat, richtet man nur Schaden an. Wichtig wäre die Weiterentwicklung des Systems mit der Beseitigung der Schieflage.
Träume von einer Supermacht Europas schaden dabei nur. Wir brauchen keine Flugzeugträger sondern Menschlichkeit und ein wenig Vernunft.
RMD