2009 haben wir (fünf Männer und eine Frau) ein Orga-Team gebildet, um das barcamp PM-Camp zu gründen. Wir haben „rohen Konsens“ gesucht. Und mit unseren Werten angefangen.
Mir war wichtig, dass das PM-Camp nicht noch ein Männer-Klub wird. Es sollte für Frauen und Männer gleich offen und spannend sein sollte. Wir haben das mit der Metapher Future is female signalisiert. Und es ist uns gelungen, es kamen zu jeden PM-Camp immer viel Frauen.
Jetzt hat mich eine Freundin nach Literatur zu Future is female gefragt. Da ich nichts gefunden habe, schreibe ich ein paar Artikel dazu.
Im folgenden Artikel geht es um den Begriff der Zukunft. Wir wissen, es gilt
Kein HEUTE ohne GESTERN, kein MORGEN ohne HEUTE.
So rutsche ich gleich in die Vergangenheit ab und komme dabei ein (wichtiges) Nebengleis in der Geschichte zwischen Mann und Frau.
„Zukunft ist weiblich“ hat einen Doppelsinn.
DEUTSCH:
Im Deutschen ist der Begriff „Zukunft“ weiblich (feminin)!
ENGLISCH:
Die englische Welt ist einfach. Alles, was kein Mensch ist, ist neutral. Nur Objekte, zu denen Menschen (männliche Engländer ?) eine besonders innige emotionale Beziehung haben, werden gelegentlich als weiblich angesehen. In solchen Fällen verwendet man she (sie) und her (ihr). Dies ist besonders bei Autos, Schiffen und dergleichen der Fall.
Aber wie ist es mit der Zukunft? Ich nehme mal an, dass „future“ im Englischen ein Neutrum, also von sächlichem Geschlecht, ist.
FRANZÖSISCH:
Das französische Wort für „Zukunft“ ist „avenir“ und das ist „maskulin“, also männlich. Der Satz „L’avenir est féminin“ hat so im französischen noch eine besondere Pointe. Man sieht schon – der Deutsche hat eine ganz andere Beziehung zur Zukunft als der Franzose. „Mutter Zukunft“ an Stelle von „Vater Zukunft“.
Viele Worte haben in Frankreich ein anderes Geschlecht als in Deutschland
Das gilt zum Beispiel für Sonne und Mond. Im Deutschen ist der Mond männlich, die Sonne weiblich. Im Französischen heisst es „la lune“ und „le soleil“. Also andersrum. Sicher ist die Sonne mächtiger als der Mond. Aber deswegen männlich?
Willy Michel singt von der „Geberin Sonne“, die erst das Leben möglich macht. In diversen Religionen war die Sonne die zentrale Gottheit. Sogar der mächtige Sponsor der katholischen Kirche, Konstantin, der Große (von 306 bis 337 römischer Kaiser) galt als Sonnenanbeter. Er hat die neue und innovative Religion genutzt, um sein Reich zu stärken. Angeblich hat er auch das Kreuz als modernes und bis heute verwendete Logo für die katholische Kirche erfunden, und zwar beim Beten mit Schauen in die Sonne. Das Kreuz soll ihm dabei erschienen sein, was nicht wundert, wenn man in die Sonne schaut.
Die Sonne ist so etwas wie die „Mutter aller Götter“. Trotzdem ist „Gott“ im deutschen und französischen (le dieu) männlich. Zumindest gibt es aber auch ein paar „Göttinnen“. Das war schon in der Antike z.B. in Griechenland so. In Frankreich gab es sogar ein Auto, dass göttlich war (die charismatische DS von Citroen, von der ich auch geträumt habe). An unserem Volkswagen war nichts charismatisch geschweige denn göttlich. Da galt „Kraft durch Freude“.
Im Deutschen ist die mächtige Sonne weiblich, der bei weitem nicht so mächtige Mond männlich. Auch „Zukunft“ ist ein feminines Substantiv.
😉 Das tröstet mich ein wenig, dass ich kein Franzose bin.
Sprache und Ethnie
Kann es sein, dass es einen Zusammenhang zwischen Sprachen und dem Denken der dazugehörigen Völker gibt? Obwohl die bürgerlichen Lebenssituationen in Deutschland und Frankreich sehr vergleichbar sind, gab es immer eine große Rivalität zwischen beiden Staaten, Nationen, Völkern …
Kann es sein dass die unterschiedlichen Geschlechter bei so wichtigen Begriffen wie Sonne, Mond und Zukunft mit eine Ursache sind, dass Frankreich und Deutschland die Erb- und Erzfeinde in Europa waren und immer wieder blutige Kriege gegeneinander führten?
Dass das Leben in Frankreich ganz anders ist als in Deutschland, habe ich selbst erlebt. Als Austauschschüler war ich in jungen Jahren mehrfach in Frankreich. Es war eine ganz andere Welt, die ich als viel freier empfunden habe und die mir so viel besser gefallen hat als meine Heimat.
Grausame Gesetze
Nur 100 Jahre vor meinem ersten Besuch in Frankreich gab es eigenartige Gesetze. In Deutschland wie in Frankreich gab es ein reiches Bürger- und Bauerntum. Sie hatten in der Familie viele Angestellte, die Dienste erledigten wie putzen, kochen und Kinder hüten. Diese wohnten gemeinsam mit der Herrschaft einer meistens schönen großen Wohnung zusammen. Der Dienstbotenbereich war kleiner, aber hatte oft einen eigenen Eingang. Man lebte relativ eng unter einem gemeinsamen Dach. So passierte etwas Unvermeidliches, es kam zu sexuellen Kontakten. Zwischen Ober- und Unterschicht, Herrschaft und Gesindel, der Familie und den Dienstboten. So kam es vor, dass Frauen schwanger wurden. Und es stellte sich die Frage: Wer war der Vater: Der Herr des Hauses, sein Sohn oder ein anderer Dienstbote? Das schwangere Mädchen hatte dagegen das Problem.
Wichtiges Gesetz
Diese Schwangerschaften waren ein essentielles Problem, dass mit einem Gesetz geregelt werden musste. Das kann ich sogar verstehen, viele Gesetze werden ja aus weit nichtigerem Gründen geschrieben.
Überraschend ist, dass dieses Problem in Frankreich und Deutschland völlig per gesetzlich total unterschiedlich geregelt wurde.
Diametrale Unterschiede zwischen D und FR
Die Moral der Franzosen und Deutsche im Bereich der Sexualität und ihrer Folgen war sehr unterschiedlich. Obwohl beide Nationen sehr christlich geprägt waren.
Ich habe mal ein Buch gelesen, in dem die gesellschaftlichen Beiträge der Nationen zur globalen Zivilisation beschrieben wurde. Deutschland wurde die Entwicklung des kaufmännischen Rechts und des redlichen Kaufmanns zugewiesen. Den Franzosen verdanken wir die Erfindung der Verhütung. Auch das fand seinen Niederschlag in der Sprache.
Mir geht es jetzt aber um den Einfluß auf die Gesetze.
In Deutschland galt per Gesetz:
Die schwangere Dienstbotin muss den Kindsvater nennen!
In Frankreich galt:
Die schwangere Dienstbotin muss den Kindsvater geheim halten!
In beiden Ländern wurden die schwangeren Mädchen für einen Verstoß gegen die geltenden Gesetzen massiv bestraft. Das heißt, die Französin wurde für genau das bestraft, dass in Deutschland Gesetz war. Und umgekehrt.
Wie ist das möglich?
Ich erkläre mit die Entstehung solcher widersprüchlicher Gesetze so:
Immer wenn man Gesetze macht, dann hat man vorher (bewußt oder unterbewußt) eine klare Vorstellung, wer Täter und wer Opfer ist. Im Vorfeld wird also festgelegt, welches Gut geschützt werden soll. Ein wie ich meine problematisches Vorgehen, das aber wohl ein Teil der Kulturen Europas ist?
Deutschland
In Deutschland wollte man die Wahrheit wissen. Damit der Unterhalt des noch nicht geborenen Kindes gesichert werden kann. Der Täter war der Erzeuger, der das unschuldige Mädel, das Opfer, verführt hat. Er hätte ja wissen müssen, auf was er sich einläßt.
So sollte dieser für seine Missetat zumindest finanziell büssen. Wenn es ihm „an die Ehre ging“, dann wurde das billigend in Kauf genommen. Er war ja selber schuld.
Frankreich
In Frankreich wollte man bewußt nicht wissen, wer der Erzeuger war. Das Wohl der „heilen“ Familie hatte Vorrang. So war es klar, dass die Frau die Täterin wahr. Der Erzeuger des Kindes war das von ihrer Koketterie verführte Opfer. Ihm wurde zu Gute gehalten, dass er dem unzüchtigen Angebot des lasziven Mädel nicht widerstehen konnte.
Zudem hätte sie ja auch verhüten können. Für ihre Untat musste sie bestraft werden. Die Ehre des Opfers war heilig.
Der Fehler liegt im Prinzip
Ich meine, wir erkennen hier einen systemischen Fehler, den Gesetze immer haben. Man will festlegen, was Recht und Unrecht ist. Das ganz im binären Code von schuldig und unschuldig. Und in der (fraglichen) Logik, das Menschen mündig und mit freiem Willen ausgestattet sind und so für ihre Taten verantwortlich.
Vielleicht wäre es „gerechter“, würde man sich Gedanken machen, wer vom Geschehen am meisten betroffen ist (und den größten Schaden hat) und so auch entscheiden dürfen sollte.
Um das zu erklären, versuche ich „out of the box“ oder „negativ“ zu denken Wer ist in unserem Fall besonders betroffen?
Erster Gedanke
Das ist doch das betroffene Mädel. Also könnte man das Gesetz auch zugunsten der betroffenen Mädels machen und ihr den Rücken stärken: Also festlegen, dass sie sich frei entscheiden darf zwischen:
den Kindsvater preiszugeben oder ihn zu verschweigen.
Allerdings könnte es ja auch andere Lösungen für das Problem geben. Im gesellschaftlichen Wandel vielleicht sogar innovativere.
Weiter denken!
Ich verwerfe ich mein „Entweder/oder-Gesetz“. Ich würde das Gesetz in etwa so formulieren:
Jeder Mensch in Not hat das Recht, das sein Problem so zu lösen, wie er es für richtig hält. Das gilt auch für die schwangere Dienstmagd.
Aber das sollte ja eigentlich selbstverständlich sein und dann bräuchte man kein Gesetz.
Das Problem sind die alternativen Lösungen, die ja auch tatsächlich so geschehen sind: die Tollkirsche (heute Pille danach), eine Abtreibung, eine geordnete Geburt mit Abgabe des Kindes an Adoptiv-Eltern oder in eine Babyklappe, die Selbst-Tötung aus Verzweiflung, die heimliche Geburt mit anschließender Kindstötung …
Da könnte man einwenden, dass uns die beiden letzten Lösungswege nicht gefallen und wünschenswerter Weise verhindert werden sollten. Wie könnte man das hinkriegen?
Meine Antwort wäre, dass man solche Probleme nicht tabuisieren darf. Sie müssen offen besprochen werden!
Und in einem redlichen Diskurs wird man sicherlich einen „rough consens“ finden, in dem unter anderem auch die einzelnen Lösungswege als use case tabulos besprochen werden. Und hoffentlich wird eine große Einigung (in Form eines „rough consens“) gefunden werden, welche Lösungswege unbedingt vermieden werden sollen. Wie in diesem Beispiel die beiden letzten.
Und wenn sie dennoch passieren, könnte man die Größe haben, diese als „Unglück“ zu werten. Unglücke passieren laufend, auch wenn wir versuchen, sie wo immer möglich zu vermeiden. Und bei Unglücken sollte das „nach Strafe rufen“ (die ja bei der Selbsttötung eh nicht möglich ist) nicht selbstredend zur „best practice“. Besser wäre zu überlegen, wie man solche Unglücke vermeiden kann. Allerdings ohne zu „moralisieren“
Mein Thema „future is female“ habe ich jetzt verfehlt. Aber keine Angst, ich probiere es weiter, bis ich am Ziel bin. Ich wollte mit diesem Artikel die vorhandene Problematik sensibel machen. Und auf weitere „Zukunft ist weiblich“ Artikel vorbereiten.
Ich wollte darlegen, wie schwer die Situation von Frauen in unserer europäischen Kultur war und auch noch ist. Und wie das so oft beschworene gemeinsame Wertesystem, auf dem unsere Kultur basiert, zu grausamen Gesetzen geführt hat, die sogar in Nachbarländern jeweils das Gegenteil zur höchsten Moral erhoben haben. In Frankreich war der Verrat des Kindsvaters verboten, in Deutschland geboten. Was links des Rheines richtig war, war rechts des Rheins geächtet. Beides wurde massiv bestraft. Die Opfer waren die Frauen.
Das zeigt doch, wie schlimm und absurd die Rolle der Frau war. Und das in unserem so gelobten Europa mit seinen tollen Werten. Und wir müssen immer nachfragen, ob sich das wirklich geändert hat. Und man sieht, dass future is female nicht nur ein wichtiges Thema ist. Es ist ziemlich schwierig, weil die Geschichte der Geschlechter belastetet ist.
So mache ich bald einen zweiten Anlauf!
RMD