Zwischen den Extremen!
Hier der erste eher ausführliche Bericht über meine letzten drei Tage in Indien.
Im Rahmen der Besinnung auf „nationale Identität“ heißt Bombay seit einiger Zeit nicht mehr Bombay sondern Mumbai. Auch andere bekannte Orte oder Einrichtungen in Mumbai wie die Victoria Station oder der Fruchtmarkt haben einen indischen Namen bekommen. Nur nehmen das auch die jungen Inder mehrheitlich nicht so ernst und nennen den schönen Bahnhof aus der Zeit von Queen Victoria trotzdem immer noch Victoria Station.
Die Renationalisierung Indiens kann ich ein wenig verstehen. Immerhin wurde das große und sicher auch heute sehr mächtige Indien ja erst 1947 unabhängig und hat sich doch erst recht spät als eigenständige Nation gegründet. Indien hat ja auch die erste Abspaltung (Bengla Dash) hinter sich und so in gewissem Sinne eine komplexe Geschichte. Und hat es insgesamt ja auch alles andere als leicht. Trotzdem finde ich diese neue Namensgebung ein wenig albern, ist doch die Amtssprache in Indien Englisch, und die Inder sind durchaus stolz darauf, dass so viele von ihnen recht gut englisch sprechen.
Auf ihr Bier, ihren Wein und ihren Whisky lassen meine indischen Freunde auch nichts kommen. In Mumbai wie wohl in den meisten indischen Bundesstaaten gibt es so etwas nur im Alkohol-Shop zu kaufen. Nur eine kleine Zahl der Restaurants haben Alkoholisches auf der Getränkekarte.
Dass der Umgang mit Alkohol in Indien anders gelebt wird, bemerke ich dann auch am Schwimming-Pool der sehr westlichen Wohnanlage, in der mein Sohn mit seiner Frau wohnt.. Nach dem ersten langen Tag (Montag) nach wegen Anreise kurzer Nacht gehe ich am Nachmittag zum Swimming-Pool dieser Wohn-Anlage. Shopping war anstrengend 😉 so will ich die letzte Sonnenstunde am Spätnachmittag nutzen, denn auch in Mumbay wird es früh dunkel.
So schwimme ich ein paar Runden im warmen Wasser, lege mich dann auf die Liege, genieße die Restsonne kurz vor ihrem Verschwinden und lese ein wenig. Dazu hole ich die kleine Flasche Bier aus meiner Tasche heraus, die ich dem Kühlschrank meines Sohnes entnommen hatte, um mit dem Inhalt derselbigen den Genuss meiner Lektüre zu erhöhen. Ein kulturelles Missverständnis, wie sich gleich herausstellt. Denn schon kommt ein uniformierter Mensch und weist mich, in vorbildlichen Englisch, darauf hin, dass am Pool kein Alkohol und so auch kein Bier getrunken werden dürfe.
Obwohl dies auf der langen öffentlichen Verbotsliste (Nutzen des Schwimming-Pools ohne Nutzung einer Schwimmkappe verboten, nicht hineinspringen, vor dem Benutzen des Pools Duschen und eben das Übliche) nicht droben stand. Natürlich akzeptiere ich das Verbot freundlich und lehre die Flasche anschließend nur sehr diskret aus, indem ich sie in meinem T-Shirt eingewickelt zum Mund führe.
Wie überall in Indien in Service-Bereichen gibt es auch beim „B-Club“ der Wohnanlage mehr Menschen, die adrett in Uniform gekleidet sind und arbeiten, putzen, kehren und fegen, als Gäste. Oft weiß man gar nicht was sie tun. Ein paar davon müssen halt aufpassen, dass die Gäste nichts Unrechtes machen. Anschließend waren wir in einem richtigen indischen Lokal zu Abendessen, es wurde noch ein schöner Abend.
Am zweiten Tag (Dienstag) geht es mit „Reality Tours“ in den bekanntesten der Slums von Mumbai, Dharavi. Der Slum liegt „natürlich“ begrenzt zwischen Eisenbahnlinien und Autobahnen.
Wir sind eine ganz kleine Gruppe, nur zu viert. Außer uns ist Françoise mit von der Partie. Françoise ist eine 81-jährige Französin aus Paris. Sie hat die ganze Welt bereist und ist immer noch in einer NGO aktiv. Unsere kleine Gruppe wird von einem kompetenten Führer betreut. Françoise weiß auch über erstaunlich vieles Bescheid und stellt unserem Führer viele kluge Fragen. Auch für uns ist das sehr spannend.
Im Slum wird hart gearbeitet. Selbstorganisation und „Gemeinschaft bilden“ sind die Stärken der Menschen hier. Sie sind stolz auf den Umsatz, den sie gemeinsam schaffen. Der Slum ist eine Stadt in der Stadt. Er hat eine Million Einwohner und vieles ist ganz anders als ich in mir vorgestellt habe. Die sanitären Bedingungen sind schwierig, die Versorgung mit Wasser und Strom ist nur partiell gewährleistet.
Dennoch ist es im Slum sauber und es scheint sehr geordnet zuzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass dort ein enormer sozialer Druck auf den einzelnen vorhanden ist. Man wird dort nicht reich, aber es lässt sich aushalten. Vorausgesetzt man mag es eng und man mag „community“. Und im „slum“ zu leben soll viel besser sein, als auf Straße zu Hause zu sein. Und da gibt es viele Menschen
Auch in der „Slum-Stadt“ gibt es eine Stadt in der Stadt. Die ist auffällig dunkler, wohl auch ärmer. Sie erscheint deutlich weniger gepflegt. Hier ist es noch enger als im restlichen Slum. Und es soll für die Insassen nur eine Gemeinschafts-Toiletten-Anlage geben – mit entsprechend langen Wartezeiten. Es ist der islamische Teil des Slums. Unser Führer erklärt den Unterschied damit, dass hier auf das wichtige Gut „Bildung“ kein Wert gelegt werden würde.
Im Slum schweifen meine Gedanken in die Heimat. Man stelle sich vor, die (wahrscheinlich mehr als) 3,5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland begännen sich zu organisieren … Allein wenn die mit ihren Familien geschlossen zur Wahl gehen und sich auf eine Partei einigen würden … Irgendwie erscheint mir vor diesem Hintergrund die Mindestlohndebatte in Deutschland ein wenig lächerlich. Sicher soll auch bei Entlohnung Fairness gelten. Nur scheinen mir die Probleme in Deutschland ganz wo anders zu liegen. Man könnte sie „Hochnäsigkeit“ nennen, oder auch Dummheit, weil wir nicht begreifen wollen (oder können), wie es in der Welt so läuft. Aber die ist global geworden – und wird auch zu uns kommen. Das sollten wir langsam kapieren, und auch bereit sein, für ein anständiges Verhalten ein wenig unseres Wohlstandes aufzugeben.
Slum anschauen war anstrengend. So machen wir am Nachmittag eine Ruhepause und gehen am Abend mit Tochter und Schwiegertochter zur Reitbahn. Dort treffen wir die Reichen und die Schönen. So ist das – die Armen schuften in den Slums und die Reichen vergnügen sich beim Reiten.
Die Reichen verlassen Bombay auch am Wochenende. Zum Beispiel fliegen sie zur Naherholung kurz mal nach Goa (600 km entfernt, so vergleichbar die Entfernung von Berlin nach München). Da Goa so schön sein soll, werden wir das auch machen. Allerdings haben wir davor noch einen Tag in Bombay. Da wollen wir ganz in der Früh eine geführte Radtour unternehmen und dann mit dem Schiff vom „Gate“ zur Elefanten-Insel fahren.
Die Radtour am Mittwoch durch Bombay war Klasse, ich kann sie nur empfehlen. Man trifft sich um 6:15, so früh wegen des Verkehrs und der Hitze. Bis um 10:00 sind wir unterwegs. Wir sind nur zu dritt, weil zwei weitere Gäste wohl wegen des frühen Starttermins abgesagt haben.
Auf dem Rad erleben wir Bombay so richtig intensiv. Wir sehen eine Moschee und einen Tempel – und ganz viele Märkte. Auf dem Fruchtmarkt beeindrucken uns die vielen exotischen Früchte, der Blumenmarkt ist einfach nur schön. Beim Fleisch wird es mir schon ganz anders und auch der Fischmarkt ist auch nur schwer zu ertragen. Ich begreife die Empfehlung, dass man sich in Indien vegetarisch ernähren sollte, wenn man nicht krank werden wolle.
Die Märkte sind alle vielfältig und bunt. Aber gerade der Fischmarkt ist laut und stinkend. Man muss ihn gesehen haben, aber vielleicht sieht man auch hier anschließend die Welt mit ein wenig anderen Augen.
🙂 Auch die Radtour wird von Reality-Tours durchgeführt, die die Slum-Tour organisiert haben. Es ist eine von vielen NGOs, die hier arbeiten. Die Überschüsse werden für diverse Projekte eingesetzt.
Zum Abschluss der Radtour gibt es ein vegetarisches indisches Frühstück. Das tut so richtig gut. Ich bin übrigens auf so einem typischen indischen Fahrrad geradelt – und muss sagen, dass dies trotz diverser Einschränkungen gar nicht so schlecht war. Zurückgelegt haben wir auch nur um die 10 km. Der Rest war „sight-seeing“ pur.
Nach der Tour holt uns unser Fahrer ab und bringt uns zum nächsten Ziel unserer Reise. Vom „Gate“ aus wollen wir ins Meer starten und die „Elefanten-Insel“ besuchen. Auf der Fahrt sehen wir wieder die übervollen Züge mit den außen an den Türen hängenden Menschen. Jeden Tag sterben aus diesem Grund in Mumbai zirka 10 Menschen, weil sie da eben auch mal herunterfallen. Aber das zählt hierzulande nicht.
Die Eisenbahnen, die ich hier sehe, fahren übrigens auf Breitspur wie in Russland und in China. Das heißt es sind auch deutlich breitere Wagen als bei uns in Deutschland. Und trotzdem reicht der Platz im Zug nicht aus.
Zur Elefanten-Insel gibt es nicht viel zu sagen. Die Fahrt mit dem Schiff hin und zurück (jeweils knapp 90 Minuen) lohnt den Ausflug an sich schon. Die Insel selbst ist – obwohl total touristifiziert – für den aus Bombay kommenden Reisenden eine Oase der Ruhe. Ihre Höhlen sind Weltkulturerbe und nett anzuschauen, da sie aber wohl im Mittelalter durch Militär zerstört und jetzt neuzeitlich einbetoniert worden sind, fand ich das ganze nicht so beeindruckend.
Was gibt es noch zu erzählen? Es ist um diese Jahreszeit angenehm warm in Bombay / Mumbai. Die Klima-Anlagen in den natürlich überhaupt nicht abgedichteten Häusern laufen aber auf Hochtouren, das tägliche „Frieren im Restaurant“ ist da nur eine der Kehrseiten.
Am vierten Tag unserer Reise geht es nach Goa, dem Traum wohl aller Hippies. Die Anreise ist spannend. Wir haben den Wecker ein bisschen zu spät auf 4:00 gestellt, um um 4:15 loszufahren. Dann stellen wir fest, dass der Flieger ausnahmsweise nicht um 5:50 sondern schon um 5:25 geht. Und die Aufzüge im großen Wohnturm (Marke Mitsubishi, glaub aber nicht, dass das die Ursache ist) sind nicht in Betrieb. Erstaunlich, für ein Gebäude mit 48 hohen Stockwerken. Auch erstaunlich, wie lange man braucht, um 30 (hohe) Stockwerke zu Fuß mit leichtem Gepäck nach unten zu bezwingen …
Aber irgendwie klappt es dann noch. Wir bekommen den schon aufgegebenen Flieger nach heftiger Intervention am Check-In nach Goa doch noch …
Von dort berichte ich dann weiter. Bilder folgen später.
RMD