Meine katholische Jugend

Ich habe gelernt, dass die stillen Tage an Weihnachten und zum Jahreswechsel ganz gut geeignet sind, den eigenen Lebenskompass wieder einzunorden. Wo soll es mit mir hingehen? Das habe ich auch dieses Jahr versucht. Jetzt gibt es aber kein Morgen ohne Heute und kein Heute ohne Gestern. So ging es bei meinen Gedanken zurück an meine Wurzeln. Zu Dingen, die mich auf meinem Lebensweg besonders bewegt haben. Und da habe ich mich an längst vergangene Zeiten erinnert. Ich erzähle mal öffentlich davon, auch um diese für mich abzuschließen. Vielleicht hilft es ja auch anderen, die ähnliches erlebt haben.

Mit acht Jahren wurde ich auf die heilige Kommunion – auch Erstkommunion genannt – vorbereitet. Nach einer normalen katholischen Erziehung (nicht intensiv, eher scheinheilig) wurde ich gemeinsam mit den anderen Katholiken in meiner Klasse im Religionsunterricht der Volksschule massiv instruiert.

Es war die dritte Klasse, da ging es ab Weihnachten so richtig los mit der Vorbereitung auf das große Ereignis. Der erste Schritt in Richtung Erstkommunion war, uns intensiv mit dem Leidensweg Christi zu versorgen. Ich erinnere mich an hoch sadistische Klebebilder, die wir kaufen und damit handgeschriebene Texte in unserem „Passionsheft“ illustrieren mussten.

Nach Ostern nahm das „bootcamp“ so richtig an Fahrt an. Zuerst kam die Beichte. Die musste intensiv trainiert werden. Die Beichte macht uns rein. Da die Beichte uns von allen Schulden befreit, muss sie kurzfristig vor der heiligen Kommunion stattfinden. Zum Beispiel am Samstag nachmittag, wenn man am Sonntag zur Kommunion geht. Und dann muss man alles tun, dass man sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag nicht versündigt – zum Beispiel weil man etwas nascht oder unzüchtige Gedanken hat (zweiteres war in der Tat mit acht Jahren noch kein Problem). Auch die Buße nach der Beichte haben wir geübt. Vaterunser und Rosenkränze langsam und in Demut zu sprechen.

Die Umerziehung ging weiter. Nach der Beichte war die heilige Kommunion dran. Wir haben gelernt, dass diese für einen anständigen Katholiken das Highlight der Woche ist. Selbst wenn die Woche noch so schlimm ist, dann macht das nichts. Denn wir leben für den Sonntag, wenn der Herr zu uns kommt. Für einen Achtjährigen gab es in 1958 ab und zu ganz schön harte Wochen. Nur war der Sonntag meistens auch nicht besser.

Aber das war ja nicht so schlimm, denn wir mussten ja das Leid auf der Erde ja nur ertragen, bis dass der Tod uns erlösen würde. Und wir als auserwählte Katholiken in den Himmel kommen würden. Das war zwar nicht einfach, denn überall lauerte der Teufel unseren unreinen Seelen auf. Immer und überall waren Schuld und Sühne um uns. Da mussten wir erst mal durch. Deswegen Beichte und heilige Kommunikation.

Dann haben wir die heilige Kommunion geübt. Vor der Kommunion durfte man kein Frühstück zu sich nehmen. Seelische Reinheit und körperliche Nüchternheit waren die zwingende Voraussetzung für den Empfang des Herrn.

Der kam dann in Form einer Oblate, der Hostie. Der Pfarrer hat sie uns auf die Zunge gelegt. Auch das haben wir geübt. Das Fleisch des Herrn mussten wir im Mund zergehen lassen, denn „man darf das Fleisch des leidenden Jesu nicht mit den Zähnen beißen“ – so unser Religionslehrer.

Ja so war’s. All das wurde in unsere Kinderköpfe gepresst. Für einen gewissen Zeitraum sogar erfolgreich. Denn mit neun Jahren glaubt man noch, was die Erwachsenen sagen.

Heute bin ich froh, dass ich kurz nach meiner Erstkommunion entdeckt habe, dass ich mit der „strafenden Variante“ von „Gott“ nicht so viel anfangen konnte. An eine „liebende“ dachte ich damals auch nicht. Dass man Gott aber eher zwischen den mächtigen Bäumen in der Stille des Wittelsbacher Stadtpark fühlen konnte denn in unserer Pfarrkirche St. Anton, das war mir aber schnell klar. Und meine Entscheidung ist gefallen. Bei meiner Firmung – der zweiten Zertifizierung zum ordentlichen Katholikenmenschen – war ich drei Jahre später schon im Zustand der innerlichen Kündigung und ließ die Zeremonie nur unter Protest über mich ergehen.

So habe ich das erlebt. Heute stelle ich mir vor, was aus mir geworden wäre, wenn ich mich jeden Samstag rein von Schuld gemacht hätte und dann am Sonntag den „Leib des Herrn“ empfangen hätte. Wie hätte ich dann das Leben ertragen sollen?

Und so bin ich heilfroh, dass ich spätesten in der Pubertät mit meiner katholischen Vergangenheit soweit wie möglich abgeschlossen habe.

RMD

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