Moral & Ethik vor Werte & Tugend ???

Viele Menschen in meiner kleinen Welt schätze und mag ich sehr. Manche davon meinen, dass Moral heißt „als guter Menschen den gemeinsamen Werten und Tugend folgend zu handeln“. Ich sehe die Moral ja nicht so positiv, deshalb entgegne ich ihnen dann:

Was ist denn Moral und Ethik? Was sind denn Werte und Tugenden?

Und bringe Beispiele und stelle die Frage, was denn da „moralisch“ richtig ist:

  • „Für Ordnung und Ruhe sein.“ oder „Für Freiheit auf die Straße gehen.“?
  • „Fortschritt und Veränderung sind gut und verlangen Opfer.“ oder „Fortschritt und Veränderung dürfen nie Selbstzweck sein“?
  • „Du musst zum Wählen gehen!“ oder „Man darf an der Urne aus Protest seine Stimme verweigern.“?
  • „Die Freiheit ganz selbstverständlich Autofahren zu dürfen ist ein Grundrecht!“ oder „Komplett aufs Auto verzichten, weil beliebig Ressourcen zerstört werden, ist eine Grundpflicht.“?
  • „Jeder soll so viel Fliegen wie er Lust hat!“ oder „Das Flugzeug darf man nur als Ultima ratio nehmen.“?
  • „In der Sexualität darf Freiheit beliebig ausgelebt werden.“ oder „Man darf es nur mit einem Partner und sollte da nur eingeschränkte Sex-Praktiken haben“?
  • „Frauen dürfen sich locker bekleiden.“ oder „Frauen müssen schamhaft verhüllt sein!“?
  • „Prostitution muss verboten werden!“ oder „Fairness für sich Prostituierende fordern.“?
  • „Frauen müssen lange Haare tragen, Männer kurze!“ oder „Jeder darf seine Haare so lange tragen, wie er es will!“?
  • „Entfernung von Körperbehaarung ist hygienisch und schön!“ oder „Entfernung von Körperbehaarung ist unmoralisch (!)?
  • „Kurze Hosen sind auch im Business ein normales Kleidungsstück.“ oder „Anzug und Krawatte gehören sich im Business!“?
  • „Streiken ist ein NOGO, wenn es die Öffentlichkeit schädigt.“ oder „Streiken ist eine gesellschaftliche Pflicht.“?
  • „Man muss sein Grundstück einzäumen.“ oder „Man darf keinen Zaun um seinen Grund errichten.“?
  • „Jeder muss bereit sein für sein Vaterland zu sterben!“ oder „Desertiere wenn Krieg droht!“?

Beispiele dieser Art lassen sich beliebig viele finden.

Aber WER kann, soll, muss, darf denn bestimmen, was hier falsch und richtig ist?

Die Ethik versucht das. Sie will zwischen verschiedenen moralischen Standpunkten vermitteln. Indem Sie einen zur Gesellschaft und in die Zeit passenden Konsens sucht und diesen rechtfertigt. Aber auch ihr gelingt das nie.

Es gibt sogar „Ethik-Kommissionen“, die die schwierigen Fragen des Lebens beantworten wollen und sollen. An Stelle von Konsens werden dort aber immer nur Kompromisse gefunden, die so schal wie ihre Begründungen sind. Die gefundenen Kompromisse jedoch werden in den Stand einer „neuen“ Moral erhoben.

Moral entlarvt sich fast immer als von Interessen (sei es bewusst oder unbewusst) getriebene Besser-Wisserei. „Man“ weiß doch, was richtig und falsch ist. „Man“ ist im Besitz der „Wahrheit“ und schreibt anderen vor, was sie zu tun haben. „Man“ erhebt sich so über seine Mitmenschen.

Ich meine, dass „Moral“ vor allem Feindseligkeit und Frust generiert – und Trotz bewirkt. Die „Moralischen Regeln“ nähren sich zu oft aus fragwürdigen Quellen wie Religionen und ihren Äquivalenten. Die kollektiven Konstrukte von Systemen, die sich mit ihre Dogmen über die Menschen setzen, bestimmen was „moralisch“ ist und was nicht. Und die Folgen sind Hass, Streit, Zank, Angst, Intoleranz – und Krieg! Im Großen wie im Kleinen.

Das sind so meine Argumente gegen die Moral-Gläubigkeit vieler Menschen. Ich verstehe aber die Befürworter der Moral gut. Denn verlässt man den Glauben an die Moral, so ist es als ob einem der Lebensteppich weggezogen wird. Sind wir doch alle „moralisch erzogen“ worden und in unserem Moralismus mehr oder weniger gefangen.

Verlassen wir den Schutzanzug der Moral, so müssen wir uns auf die Suche nach persönlichem Sinn und Wirken begeben. Und es ist nicht immer ganz einfach, das Gefundene mit der gesellschaftlichen Realität (und deren Moral) in Einklang zu bringen.

RMD

P.S.
Diesen Artikel habe ich für die Community „Strategische Moral“ in Google+ geschrieben.

4 Antworten

  1. Die Beispiele am Anfang gefallen mir gut, sie illustrieren auf ganz einfache Weise wie schwierig es ist zwischen richtig und falsch unterscheiden zu wollen.

    Manchmal denke ich, dass die Moralgläubigkeit ein Vorwand ist um sich den drängenden Fragen nicht selbst stellen zu müssen.

  2. Roland, you have chosen biased examples, where normal people can agree that current „moral“ is very dubious.
    But consider the current attitude off Turkey, where the state’s stability is being given priority over (moral) protection of innocent Kurds, (e.g. women and children).
    Going even further, who can say that ISIS and the spreading of ebola are unethical, when they tend to reduce the world economy, and thus preserve resources and life in general?

  3. Lieber Roland

    Deine Auseinandersetzung mit der Moral und Ethik verstehe ich nicht. Hält man sich z.B. an die Begriffserklärung aus Wikipedia für Moral:

    „Moral bezeichnet zumeist die faktischen Handlungsmuster, -konventionen, -regeln oder -prinzipien bestimmter Individuen, Gruppen oder Kulturen.
    So verstanden, sind die Ausdrücke Moral, Ethos oder Sitte weitgehend gleichbedeutend und werden beschreibend (deskriptiv) gebraucht.“

    – oder für Ethik:

    „Im Zentrum der Ethik steht das spezifisch moralische Handeln, insbesondere hinsichtlich ihrer Begründbarkeit und Reflexion.
    Die Ethik – und davon abgeleiteten Disziplinen (z. B. Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie) – bezeichnet man auch als „praktische Philosophie“, da sie sich mit dem menschlichen Handeln befasst (im Gegensatz zur „theoretischen Philosophie“, zu der die Logik, die Erkenntnistheorie und die Metaphysik als klassische Disziplinen gezählt werden).“

    Dann wird klar, dass die Inhalte für beide Begriffe dem Zeitgeist unterworfen sind, welcher sich stetig wandelt.

    Und natürlich nährten sich die moralischen Argumente lange aus Religionen, da diese den Verhaltenskodex vorgaben und zwar konkurrenzlos bis zum neunzehnten Jahrhundert. Erst von da an gab es Alternativen zu auf einen Gott bezogene Staatsreligionen. Die Wahl zum bekennenden Atheismus ist noch sehr jung.

    Bei solch einem reichlichen Angebot an epochaler Moral, kann sich jeder individuell Moralbegriffe aus verschiedenen Zeiträumen zusammensuchen. Dabei kommt es zu den von Dir kritisierten Konstrukten zweckorientierter Moral.

    Während Du und andere sich mit überkommenden Moralvorstellungen aus unserem Kulturkreis quälen, geschieht in großen Teilen der Welt und auch bei uns eine Zurückbesinnung zu alten Moralbegriffen. Die Rückkehr zu islamischen Grundwerten ist keine von oben befohlene Kehrtwende zu koranischen Moralvorstellungen, sondern wird von den Gläubigen selbst getragen. Der Extremismus wird zwar vordergründig wahrgenommen, ist aber nur ein hässlicher Auswuchs der moralisch/ethischen Rückwende.

    Zeitlos und universell gültig bleiben die Ethik oder Moral der biblischen zehn Gebote.

    Moral, Ethik, Ideologie, Staatsmotto usw. sind Überbleibsel aus der Zeit, als die Menschen nur in Horden oder Clans überleben konnten und in der Einigkeit die einzige Chance bestand, den nächsten Winter oder Überfall zu überleben.

    Wir, mit unserer Individualität wagen uns aus diesen uralten Strukturen heraus und sollten uns nicht über die Reaktionen wundern.
    Die Tugenden wandelten sich ebenfalls im Laufe der Zeiten. In der Antike galten Verständigkeit, Gerechtigkeit, Frömmigkeit und Tapferkeit als erste Tugenden. Die Moderne sieht allerdings Tapferkeit, Freiheit, Güte und Gerechtigkeit als Kardinaltugenden an.
    Kant sagt dazu, dass es nur dort Tugend gibt, wo es einen guten Willen gibt (es lebe Wikipedia!). Das gilt auch für Primärtugenden in der Arbeitswelt: Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Fleiß und Ausdauer.

    Einen Wettstreit zwischen Moral & Ethik und Werten & Tugend kann es nicht geben.

    Grüße
    Klaus

  4. Hi Klaus,

    allem was Du schreibst stimme ich zu.

    Wahrscheinlich ist mein Problem, dass ich langsam meine zu verstehen, dass Moral früher wie heute als strategische Waffe gegen die, „die sich aus diesen uralten Strukturen herauswagen“ (wie Du schreibst) eingesetzt wird.

    Darunter habe ich schon als Kind gelitten und irgendwie ist das bis heute nicht besser geworden. Und ich selbst habe erlebt, wie ich bei wichtigen Entscheidungen Kompromisse wegen „innerer moralischer Bevormundung“ gemacht habe – eben wegen diesem „So kannst Du das aber doch nicht machen“ oder „So macht man das“ Die Retrospektive hat dann gezeigt, dass diese Entscheidungen immer wesentlich nachteilig waren. Immer hätte ich die „moralischen Bedenken“ ignorieren müssen und geradeaus handeln sollen.

    Und leider sind diese moralischen Gebote nur zu oft gegen den „guten Willen“, der wohl neben dem gesunden Menschenverstand das A&O ist. Nur was ist das „guter Wille“ und „gesunder Menschenverstand“?

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