Jetzt weiß ich, warum meine Begeisterung für Barcamps nachlässt …
Diese Woche war ich beim ersten (!) Barcamp eingeladen, das einer der ganz großen deutschen Weltkonzerne in seinem Unternehmen veranstaltete. Die “Unkonferenz” galt als Experiment und hatte als Thema eines der modernen “Führungsprinzipien”.
Man wollte mal etwas Neues ausprobieren und hat dazu zirka 50 interne Mitarbeiter und ein paar externe eingeladen (einer davon war ja ich). Die Mitarbeiter aus dem Konzern waren fast alles junge “high potentials”, darunter viele persönliche Assistent*innen von Vorständen bzw. Bereichs- oder Produktverantwortlichen.
Von den Freiheitsgraden war das Barcamp ein wenig eingeschränkt. So wurde das “Prinzip der Füße” und die Rollen der “Schmetterlinge und Bienen” bewusst nicht formuliert. Ich habe nachgefragt, die Veranstalter waren in der Sorge – nach meiner Meinung zu unrecht, dass es dann dass doch zu viel der Innovation sein könne.
Aber: Die Veranstaltung war wahnsinnig gut.
Ich hatte den Eindruck, dass nach kurzer Skepsis alle Teilnehmer richtig begeistert mit gemacht haben. Und dass es für alle eine tolle Geschichte war. Kein einziger der Teilnehmer hatte sich explizit mit einem Vortrag oder ähnlichem vorbereitet! So haben alle Sessionsgeber nach kurzem Nachdenken spontan ihre Probleme, Sorgen und auch Erlebnisse formuliert. Und das kam an – so wurde in allen Sessions immer an Themen gearbeitet, die wohl brennend wichtig und sehr spannend waren.
Ich habe auch wieder mal viel gelernt und war froh, dabei gewesen zu sein. Besonders habe ich viel besser verstanden, wie große Konzerne heute betreffend Führung und Management ticken. Als Wissens-Beifang wurde mir auch bewusst, dass es tatsächlich in der Regel nicht mehr darum geht, Produkte zu kreieren, die den Kunden nutzen. Denn als erstes geht es um die Bewertung, ob es im Markt noch Bereiche gibt, die unterversorgt sind (“produktfreie” Lücken), von denen jedoch eine Mehrheit der befragten Menschen glaubt, das man so etwas brauchen kann.
Wenn diese Bedingung erfüllt ist, dann geht es nur noch darum, ob es eine gute Marketing-Strategie und ein Vermarktungs-Konzept gibt, dass wesentliche Skalierung und gute Profitabilität (Herstellungskosten / durchsetzbarer Preis) ermöglicht. Dass der Nutzen eines Produkts bei der kreativen Planung so gar keine Rolle mehr spielt, hat mich dann doch ein wenig entsetzt.
Eine (indirekte und) für mich persönlich wichtige Erkenntnis war aber (und deswegen schreibe ich hier), dass mir auf diesem “Konzern-Barcamp” klar wurde, warum ich immer barcamp-müder werde:
Je länger es ein barcamp gibt, desto mehr Menschen kommen mit vorbereiteten Themen und formulieren nicht mehr spontan und/oder im Kontext des Geschehens ihre Anliegen.
Diese Tendenz sehe ich leider auch immer mehr bei meinen ehemals so richtig geliebten PM-Camps, denen ich bisher immer treu die Stange gehalten habe. Und bin dann mittlerweile am meisten im Kaffeeraum und rede mit den vielen tollen Menschen, die da immer da sind. Auch meine ich bei anderen barcamps zu sehen, dass jedes Jahr die “konfektionierten” Sessions immer mehr werden und so die Unkonferenz sich nur noch aufgrund ihrer Format-bedingten Freiheit ein wenig von einer guten klassischen Konferenz unterscheidet.
Ein Lösungsansatz könnte so sein:
a) Deutlich zu kommunizieren, dass es besser ist, wenn wir auf barcamps wieder den Moment wirken lassen und sich ausschließlich spontan und aus der eigenen und gemeinsamen Erkenntnis-Situation heraus Sessions anbietet und
b) Die Planungsphasen iterativer und “gemeinsamer” zu gestalten
(also am Morgen nur die Sessions für den Vormittag festlegen, dann im Forum kurz zu reflektieren, was passiert ist und wie man das am Besten fortsetzen kann).
Die immer wiederkehrende Gradwanderung zwischen individuell (allein) und kollektiv (gemeinsam) und zwischen agil und im voraus geplant ist sicher nicht einfach hinzukriegen. Aber wir müssen es immer wieder versuchen.
RMD
2 Antworten
Auf den Punkt gebracht! Dafür ein herzliches Dankeschön.