Nicht nur die großen Abenteuer finden im Kopf statt

Ethik und Aufklärung sind auch nur eine Art von Glauben

Das hat mich schon eiskalt getroffen.

Ich dachte immer, ich würde nicht glauben. Würde alles in Frage stellen und Aufklärung und Vernunft folgen. Würde versuchen „ethisch“ zu handeln. Ethisch im dem Sinne, dass ich versuche Entscheidungen einer Güterabwägung zu unterwerfen, die einem von mir sittlich verantwortetem Wertesystem folgt. Also einem Wertesystem, das ich mir bewusst erarbeitet habe und bei dessen Erarbeitung ich darauf geachtet habe, dass dieses mit dem Weltkonsens, der sich z.B. in der Goldenen Regel oder in der UNO-Charta findet, kompatibel ist. Und bei dem Werte wie Toleranz und Zivilcourage sehr wichtig sind.

Und dann ist mir aufgefallen, dass diese meine Gewissheit auch nur ein Glaube ist. So habe ich an etwas geglaubt, so wie etwa die Christen, Juden, Moslems an einen personalisierten Gott glauben, so wie Menschen anderer Religionen an andere Götter oder allgemein etwas Höheres glauben. Oder so wie die Atheisten halt glauben, dass es eben keinen Gott gibt. Und wahrscheinlich schon bald eine atheistische Religion gründen werden. Was ich zwar logisch finde aber doch auch ein Widerspruch in sich ist.

Die Gottesfrage habe ich mir übrigens nie gestellt. Zumindest solange nicht wie ich mich erinnern kann. Einfach weil mir klar war, dass ich solchen Themen nicht kann. Wußte ich doch, dass ich nichts weiß.

Heute würde ich sagen „Ich glaube, dass ich nichts weiß“. Ich weiß ja nichts und kann ja gar nichts wissen … Findet ja alles nur im Kopf statt. Und wie soll ich wissen, ob es etwas gibt, dass wir Menschen ja selber erfunden haben?

Ein Teil meines Glaubens ist auch, dass es keine Wahrheit gibt. Weil auch die Wahrheit nur im Kopf statt findet. Und nicht nur, dass es in den Köpfen sehr chaotisch zu geht. Nein, der Kopf hat zwar viel Fantasie, aber für die Realität ist er wohl zu begrenzt. Wie sollen da Wahrheiten herauskommen – wenn wir eh alles nur selber erfunden und empfunden haben?

So meine ich heute zu wissen, dass alles was wir meinen zu wissen, nur ein Glaube ist, sozusagen eine Art von Religion. Und mir  bleibt nur die Hoffnung, dass mir mein Glaube – an Aufklärung und Vernunft (die es ja wahrscheinlich auch nicht gibt, weil es ja auch nur unsere Erfindungen sind) – mir  persönlich mehr hilft als der Glaube anderer. Besonders wenn diese mir (und uns) ihren Glauben immer wieder aufzwingen wollen – und mit Strafe drohen, wenn wir ihn nicht annehmen.

Die zweite Hoffnung ist,  dass mein Glaube an Aufklärung, Ethik und Vernunft vielleicht ein klein weniger humaner und sozialer ist, als die Glaubensvarianten, die sich auf dieser Welt so tummeln.

Von der Illusion, dass Aufklärung und Vernunft und Ethik Wahrheit wäre, habe ich aber Abschied genommen.

RMD

P.S.
Das war jetzt so ein Text, wie er nur auf einsamen Zugfahrt entsteht, diesmal von München nach Stuttgart.

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