Auf unserer Indien-Reise schaue ich meiner Tochter zu, wie sie sich auf eine „Philosophie-Klausur“ vorbereitet. Um mein Wissen zu testen, stellt sie mir Fragen aus ihrem Lehrbuch. Zum Beispiel:
„Was ist der Nutzen der Philosophie?“
So ganz spontan fällt mir da keine richtige Antwort ein. Ich passe lieber mal, bevor ich etwas Falsches sage. Sie gibt mir die wohl offiziell richtige Antwort aus ihrem Schulbuch:
„Die Philosophie lehrt uns, wo wir herkommen, wo wir hingehen und wer wir sind“.
Das stimmt doch nicht, denke ich mir. Wenn man diese Definition im Wortsinne präzise liest, so ist sie doch völlig falsch. Die Philosophie trägt doch zu diesen Fragen keine konstruktiven Antworten bei. Diese Definition erscheint mir als mindestens „vor-darwinistisch“. Ich betrachte die drei Fragen mal näher.
„Wo kommen wir her?“
Gibt es da nicht Wissenschaften, wie Anthropologie und Biologie oder die Evolutionswissenschaft, die die Entwicklung der Menschen aus den „Menschenartigen“ erklärt. Ist bei dieser Frage nicht mehr die Archäologie und die Erforschung der menschlichen Geschichten gefragt, denn als die Philosophie? Vielleicht kann hier sogar die „Religions-Geschichte“ helfen. Und absolut gesehen natürlich auch die Physik, wenn sie sich mit dem Urknall beschäftigt. Gemeinsam mit ihrem mächtigen Partner, der Mathematik.
„Wer sind wir?“
Auch hier sehe ich wenig Raum für die Philosophie. Hier suche ich die Antwort eher bei Psychologie, Gehirnforschung und vielleicht auch Soziologie, wenn es um menschliche Gemeinschaft geht.
„Wo gehen wir hin?“
Als Jugendlicher wollte ich mal Zukunftforscher werden. Das war zu der Zeit, in der ich begeisterter Leser von Science Fiction-Literatur war. Ich dachte mir, dass es sehr spannend wäre, aus dem „kybernetischen“ Verständnis komplexer Abläufe der Gegenwart und Vergangenheit Zukunftsprognosen zumindest in Form von möglichen Varianten zu erstellen. Bin dann aber als Student bei der Mathematik gelandet.
Heute soll es ja so etwas geben wie Zukunfts-Forschung und -Management. Wobei mir vor kurzem ein „Zukunfts-Manager“ (der gutes Geld damit verdient) gesagt hat, dass die Zukunftsforschung eigentlich nur ein Missverständnis wäre, denn man könne die Zukunft nicht erforschen. Wohl könne man sie aber „Managen“. Ich kann dazu nichts sagen, außer dass ich „Zukunfts-Forscher“ kenne, die mit ihrer Beratungsarbeit auch (sehr) gutes Geld verdienen.
Man sieht, wir haben so viele wissenschaftliche Disziplinen, die sich mit uns Menschen und unserem Leben beschäftigen. Ich nenne sie gerne die „Lebenswissenschaften“. Und wie immer sollten die zusammen arbeiten und sich ergänzen.
Aber was ist dann der Auftrag der Philosophie? Ich meine, dass die Philosophie das menschliche Denken schärfen soll. Uns zu lehren, wie wir klug die Dinge hinterfragen können.
Die Philosophie sollte eine angewandte Wissenschaft sein. Die Professoren sollten dies wollen. Sie müssten es so schaffen, dass möglichst viele Menschen in die Lage versetzt werden, eine hohe eigene Urteilsfähigkeit zu entwickeln.
Insofern sehe ich die Philosophie vor allem als eine Wissenschaft, die die Menschen ausbilden muss. Und die dann von den ausgebildeten Menschen weiter entwickelt wird. Wir brauchen Sie, damit wir uns sinnvoll zwischen unseren individuellen und kollektiven Bedürfnissen bewegen können. Damit wir mehr richtige denn falsche Bewertungen erzielen und so in die Lage kommen, mehr gute als schlechte Entscheidungen und Handlungen zu begehen.
In der letzten Zeit war die Philosophie zumindest in Europa der Träger der Aufklärung. Das ist für mich eine ihrer wichtigen Aufgaben.Philosophie muss auch weiter ein Ringen um Aufklärung beinhalten. Sie soll uns lehren, die Dinge zu hinterfragen. Denn die Aufklärung ist und wird nie abgeschlossen sein.
🙂 Im Internet würden wir sagen, wir in Europa erleben gerade „Aufklärung 4.0“.
Bei der Philosophie geht es um das Streben nach Erkenntnis durch Denken. Die Philosophie wird sich so auch immer mit Dingen wie Moral und Ethik beschäftigen. Vielleicht kann sie die negativen Seiten, die wir in allen Religionen finden, ein wenig zurückdrängen. Mag sein, dass Philosophie Menschen helfen kann, ihren eigenen und humanen Gott oder das Göttliche in sich selbst zu finden
Dann wäre die Philosophie eine wunderbar nützliche Wissenschaft, die den Elfenbeinturm, in dem sie sich selbst eingesperrt hat, verlassen kann. Deshalb ärgert es mich, wenn im bayerischen Schulunterricht die Philosophie so gedankenlos als die Wissenschaft des „Wo kommen wir her, wo gehen wir hin, wer sind wir?“ definiert wird. Das ist zu einfach
Sogar wenn diese ja fast schon religiöse Definition von Philosophie im Schulbuch nur als Metapher gemeint wäre, macht sie keinen Sinn. Viel zu oft werden unsinnige Aussagen dadurch entschuldigt, dass sie doch nur „metapherhaft“ gemeint wären.
Denn aufbauend auf Geschichten, die das kollektive Denken von Menschen erschaffen hat und derer spitzfindiger und einseitiger Interpretation kann man doch keine absolute Wahrheiten ableiten und Moralismen entwickeln. Das passiert in der Religion und genau davor muss die Philosophie sich hüten.
RMD