Mein Freund Marcus Raitner schreibt einen wunderbaren und wie ich meine recht erfolgreichen Blog. Beim Marcus gilt „nomen est omen“, so heißt sein Blog Führung erfahren. Ende April hat er eine Blogparade gestartet, die noch bis zum 31. Mai. 2020 läuft. Sie heißt #remoteworks.
Mein Beitrag ist ein pragmatischer Vorschlag.
#remoteworks ist ein Thema, dass für jeden Unternehmer wie unser Arbeits- und Gesellschaftsleben nicht nur in Corona-Zeiten sehr wichtig ist. Auch ist es ein digitales Thema, das macht es noch interessanter. Also mach ich bei #remoteworks mit. Die Zeit läuft, und ich muss mich sputen, meinen Beitrag fertig zu kriegen.
In der Blogparade sind schon einige Artikel zu finden, die viel Prinzipielles und Theoretisches zum Thema diskutieren. Ich möchte hier einen ganz pragmatischen Beitrag beisteuern, der vielleicht eine neue Realität beschreibt.
Es geht um die Hürde von Zeit und Raum
#remoteworks klingt und nach einem für Mensch und Geldbeutel vorteilhaftem Überwinden der Hürde von Zeit und Raum. Man denkt an nach Home Office. Menschen, die weit von einander entfernt leben, zusammen arbeiten können. Um an einem verteilten Projekt teilhaben und unser Wissen teilen zu können, müssen wir nicht mehr unsere Zeit dreingeben und uns auf altmodische Art und Weise mit einem Verbrennungsmotor von A nach B begeben.
Vor- und Nachteile von social distancing
In manchen der Blogbeiträge wird diskutiert, ob vieles „remote“ nicht sogar besser geht. Man bereitet sich besser vor und erscheint pünktlicher zum Termin. Die Stau- oder S-Bahn-Ausrede gibt es ja nicht mehr. Man muss kommunikativ mehr Rücksicht nehmen und einfache Regeln beherzigen.
Die Unannehmlichkeiten eines persönlichen Treffens fallen auch weg. Kein penetranter oder irritierender Duft von Rasierwasser oder Parfüm, kein Knoblauch-Atem oder andere Ausdünstungen. Schmutzige Fingernägel berühren nicht unangenehm …
Ich meine dazu, remote geht es anders, aber bestimmt nicht schlechter. Man spart Mobilität. Also weniger Sprit, Abgase, Lärm und Stress. Und gewinnt Zeit und Lebensqualität. Das Arbeiten mit „shared documents“ an Stelle des unsäglichen Versands von Dateien per E-Mail wird zum Normalfall. Man macht eine Aufnahme und spart das Protokoll.
Und die penetrant vorgetragene und demotivierende Langweile mancher Teilnehmer, die nebenher ihre E-Mails lesen, stört nicht so sehr. Diese Damen und Herren nenne ich übrigens Dementoren.
Arbeit heißt Geld verdienen und soziale Selbstverwirklichung
Ein großer Wert von „Arbeit“ ist, dass man raus kommt, andere Menschen trifft und soziale Kontakte hat. Manche Menschen „gehen zur Arbeit“, um „unter die Leute zu kommen“. Ihr soziales Leben findet wesentlich „in der Arbeit“ statt.
Mit Home-Office funktioniert das nicht. Schon der Arbeitsweg besteht oft nur aus der Treppe vom Schlafzimmer ins Arbeitszimmer ein Stockwerk tiefer? Den Kaffee müssen wir selbst machen. Oder wir verzichten auf ihn und bleiben gleich mit unserem Laptop im Bett.
Schlanker werden wir aber nicht, wenn wir uns so auch noch den Weg zum Auto oder Bahnhof einsparen? So werden wir noch mehr zu Couch Potatos. Das stört aber nicht, weil der Bauch ja meistens nicht im Bild ist.
Es geht so aber auch anders
So denke ich in meinem Fallbeispiel an einen Freund, der als SW-Entwickler mit seiner Familie im schönen Oberland lebt. Dort hat er es wunderschön. Der einzige Nachteil der Lage ist, dass er jeden Tag nach Unterhaching muss(te).
Weil dort der Münchner Teil der InterFace AG sitzt. Dort verbringt er den ganzen Tag hochkonzentriert vor einem Bildschirm. Die einzige Abwechslung ist das Mittagessen mit den Kollegen beim Alten Wirt oder kleinen Italiener und die paar Gänge in die Kaffeeküche. Und Abends quält er sich dann im Stau wieder nach Hause.
Home Office war für ihn auch nicht so günstig. Wer kleine Kinder hat und diese mag, wird das verstehen. Dafür gibt es aber eine Lösung
Aus der Ferne arbeiten muss nicht von Zuhause sein
Die Lösung ist einfach und genial. So kooperieren wir (die InterFace AG) mit einem „Coworking Space“ in Miesbach. Die Gelegenheit war günstig, weil der nur halb voll und genug Platz vorhanden war. So viele Gründer und Startups gibt es im Oberland halt noch nicht. Alos haben wir dort Arbeitsplätze für Mitarbeiter der InterFace angemietet, die im Oberland leben. Andere Unternehmen folgen jetzt diesem Beispiel. Und auch bei uns soll es an weiteren Orten Schule machen.
Der Coworking Space freut sich, weil er seine Räume vermietet hat. Die Mitarbeiter sparen sich den Stau morgens hinein nach München und abends raus aus der Stadt. Es ist ein Stau, der besonders nervt, weil ganz gleich in welcher Richtung man fährt, immer ist die Gegenbahn frei.
Sie müssen auch nicht mehr im Home Office bleiben und kommen wieder unter Menschen. Jetzt können sie mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren – ja sogar zu Fuß geht es wieder. Und im coworking space hat man in der Regel eine gute Atmosphäre. Jung und alt treffen sich hier, alternative Gründer begegnen Mitarbeitern von jungen und alten Unternehmen. Eine Kaffeeküche für den Ratsch & Tratsch gibt es genauso wie die sympathische Gastronomie von Miesbach.
Ist das keine schöne Vision? Unternehmen mit den „weiße Kragen Berufen“ bauen gemeinsam mit den lokalen Behörden ein engmaschiges Netz von Co-Working-Space in den Regionen, wo ihre pendelnden Mitarbeitern wohnen. Dort trifft sich eine bunte Mischung von Gründern, Mitarbeitern von Startups und junger wie arrivierter Unternehmen. So beginnt auch regional eine ganz neue Ära des Wissenteilens, Teilhabens und Lernens.
Mein Freund hat jetzt drei Möglichkeiten. Er kann im Bett bleiben und gleich mit der Arbeit los legen. Er kann zu seinem regionalen Hotspot radeln und und dort in sozialer Arbeitsatmosphäre werkeln. Er kann ins Auto oder in den Zug steigen und in die große Stadt fahren. Weil er dort Wichtiges zu erledigen hat oder seine Kumpel treffen will.
Ich meine, dass alles tut der Gesundheit gut und ist darüber hinaus effizient und resilient.
Für den Querdenker
Wäre das nicht toll? Anstelle von zentralen Menschensilos und reinen Schlafstätten in den großen Megacitys ein Netz von coworking spaces in den Regionen. Keine Neubauten mehr, sondern eine Sanierung und sinnvolle Nutzung leerstehender Gebäude in den kleinen Städten und Gemeinden der Region. Und in den renovierten schönen Lofts begegnen sich Menschen, die in den verschiedensten Formen und Arten arbeiten. Die einzige Voraussetzung ist, dass sie an einem Computer arbeiten müssten.
Eine Anekdote für die Bedenkenträger
Anfang der 1980iger habe ich zwei Jahr für Softlab gearbeitet. Ich war unter anderem an der Entwicklung eines Formularsystems beteiligt. Einer Software, mit der man Formulare generieren und diese ausfüllen konnte. Wir hatten allerdings zwei Auftraggeber. Das waren Siemens und Nixdorf, die neben IBM renommiertesten IT-Hersteller in Deutschland und extrem feindselige Konkurrenten.
Eines Tages haben diese Unternehmen erfahren, dass wir für beide ein Produkt mit zumindest ähnlicher Funktion entwickeln. Mehr ging nicht, weil die durch Hardware und Betriebssystem gegebenen Voraussetzungen völlig verschieden waren.
Und dann war Schluss mit lustig. Softlab musste sich verpflichten, die Teams räumlich auseinander zulegen und die Verbindungstür dazwischen dauerhaft zu verschließen. Außerdem wurde die Dauer des Projekts ein Kontaktverbot für die Mitarbeiter der beiden Teams ausgesprochen. Heute würde man sagen, Teams wurde in Quarantäne gesetzt und bekamen untereinander ein Kontaktverbot.
Dümmer geh’s nimmer.
RMD
Eine Antwort
Hmm, als „Bedenkenträger“ registriere ich mit einem gewissen Entsetzen, daß der gemeine „Informatiker“ pathologisch ignorant ist. Wer in Teufels Namen arbeitet denn länger und öfter „remote“ als ausgerechnet er ?
Ja, früher. Als die Maschinen nicht multitaskingfähig waren und Rechenzeit noch richtig teuer war. Da mußte man schon vor Ort sein, um an einem Rechner zu arbeiten. Ganz hip und elitär war es, seine Programme auf Assemblerformularen einzutragen (habe ich oft in der Schule während des Geschichts- und Erdkundeunterrichts gemacht) und dann von jungen und oft attraktiven Frauen lochen zu lassen, sprich: Es gab schon in den 80ern „OCR“ und Chancen für Frauen in der Informationstechnologie: Aus Handgeschriebenem wurden Lochkarten. DAS war „Digitalisierung“ PLUS „Gleichberechtigung“. Was will man mehr ?
Zum Testen mußte man seinen Hintern aber nach wie vor ins Rechenzentum tragen.
Später kamen die Modems, und spätestens seitdem hatte man die große Freiheit !
Anstatt sich dieser Freiheit zu bedienen und weltweit Kontakte zu knüpfen, stellten sich die Informatiker zuhause einen stupiden „PC“ hin, damit sie irgendeinen Unsinn daddeln konnten. Eine LIBBLAS hatten die nicht, dafür aber eine „Maus“. Der geistige Horizont schrumpfte sozusagen um die Daddelkiste. Und irgendwie haben sie es geschafft, diese Dinger auch auf der Arbeit hinzustellen.
Dabei merkt der PC-Trendlemming gar nicht mehr, daß er immer mehr „remote“ arbeitet. Er läßt sich freiwillig von „Siri“ abhören, im Auto zusätzlich von seinem „connected drive“. Wenn er bei „amazon“ ein neues Zubehör für seinen PC bestellt, dann überreißt er gar nicht, welche Art Transaktion er da angeworfen hat, denn die Welt endet im „PC“, nennen Sie es „Camera Obscura“ oder „Kaleidoskop“.
Insofern mag es gut sein, daß eine Schar deprivierter Einzelkämpfer nicht mehr zur gleichen Zeit an einem Ort arbeiten muß.
Gemeinsames Arbeiten ist aber wesentlich mehr:
Von Miesbach aus ist man mit der Bayerischen Oberlandbahn ruck-zuck in Deisenhofen, von dort aus ist man mit dem Fahrrad in einer Viertelstunde in der Leipziger Straße. Man kommt entspannt an und ist wegen der Bewegung auf einem ganz anderen „energetischen Level“.
Während eines gesunden Schlafes im schönen Oberland, ohne „PC“ zuhause, hat das Gehirn für uns „vorgearbeitet“. Entweder ich habe eine Frage und gehe zu einem Kollegen — oder aber der kommt zu mir. Ganz oft bringen einen die Anregungen der Kollegen auf ganz andere Gedanken.
Interessanterweise sind es meistens die Kollegen aus ganz anderen Fachgebieten, die einem den manchmal entscheidenden „Schubs“ geben.
Während der gemeinsamen Arbeit reiße ich mich zusammen und lasse mich nicht gehen – ich repräsentiere ja die Gemeinschaft.
Wenn ich dann wieder zuhause bin, fällt die Last des Alltags von mir ab und ich kann mich an meiner Frau und an unseren Katzen erfreuen.
Während der Hälfte der Zeit „auf der Arbeit“ habe ich übrigens „remote“ gearbeitet, von meinem kleinen, einfachen X-Terminal aus auf Servern in der ganzen Welt. Nebenbei noch mit einer bekannten Pianistin gechattet.