Unternehmertagebuch #84 – Kündigungsschutz

Einige Male im Jahr treffe ich mich in St. Gallen oder in Zürich mit Unternehmern aus der Schweiz. Es ist ein wunderbarer Kreis mit vielen von mir hoch geschätzten Persönlichkeiten.

Und natürlich werde ich da als einziger Deutscher in der Runde oft geneckt. Oder auch bemitleidet. Zum Beispiel, wenn die Rede auf den deutschen Kündigungsschutz kommt und über die bei uns üblichen hohen Abfindungssummen für langjährige Mitarbeiter gesprochen wird. Dann werde ich ungefragt getröstet. Und erfahre Verwunderung: Wie könne das nur sein, dass so ein System funktioniert?

Ich erkläre dann, dass wir dank 30 Jahren unternehmerischer Übung mit dem Kündigungsschutz schon umgehen können. Und dass alles halt letztendlich eine Frage der Unternehmenskultur wäre.

Die Schweizer verstehen den Kündigungsschutz aber trotzdem nicht. Und meinen, dass die Menschen in der Schweiz diesen ja gar nicht haben wollten. Mit der einfachen Begründung:

Wenn die Menschen in der Schweiz sich einen solchen Kündigungsschutz wünschen würden, sie ihn ja mit einem Volksentscheid ja sofort bekommen könnten.

Da gehen mir dann die Argumente aus und ich schweige – oder wechsele besser das Thema.

Insgeheim gebe ich aber meinen Schweizer Kollegen recht. In einem fairen Verhältnis  Unternehmen – Mitarbeiter (ich sage bewusst nicht „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“) ist der asymmetrische Kündigungsschutz ein unfaires Moment. Der Mitarbeiter kann immer kurzfristig kündigen, wenn er etwas besseres findet. Wenn das Unternehmen sich aber von ihm trennen will oder zwingend muss, kostet das bei entsprechender Beschäftigungsdauer leicht einen 6-stelligen EURO-Betrag.

Und das schlimmste: Nicht nur den „bösen“ Arbeitgebern sondern auch besonders den „Arbeitnehmern“ schadet der Kündigungsschutz. Wie viele Menschen kennen wir, die sich über Jahre von ihrem „Unternehmen“ entfernt haben, aus welchen Gründen auch immer. Trotzdem mussten sie sich nicht um Alternativen oder eine Weiterentwicklung kümmern, denn durch den Kündigungsschutz waren sie ja abgesichert.

Über die Jahre wird dann aus der „Entfernung“ die „innere Kündigung“. Die Hoffnung auf eine positive Wende stirbt und der Mitarbeiter entwickelt eine Mentalität, es darauf ankommen zu lassen. Schlimmstenfalls gibt es ja eine fette Abfindung vom Unternehmen, die man kassieren kann. Die hat man ja auch verdient. Und kann dann ja noch immer weiter sehen. So viele Jahre bis zur Pension sind es ja häufig auch nicht mehr. Das Denken an die Vergangenheit tritt an Stelle des Arbeitens für die Zukunft.

Fürs Ausscheiden mag es viel Geld geben. Aber eine neue Aufgabe oder Arbeit bringt das nicht. Die Aussicht auf die Abfindung hat oft die Motivation zerstört, sich weiter zu entwickeln und agil zu bleiben. Und rechtzeitig nach Alternativen zu suchen. So entsteht trotziges Verhalten nach dem Motto, „das sitze ich aus“. Und das fördert die Bereitschaft zur Veränderung und zum Wandel bekanntlich nicht.

Wenn es blöd läuft, ist dann das Geld schneller weg als man denkt. Arbeit findet man ohne wesentlichen Gehaltsverzicht keine mehr. Und ohne Job zu leben ist oft nur schwer bekömmlich.

So kenne ich leider viele Menschen, die dann doch vor dem Nichts stehen. Und auf der anderen Seite eine Reihe von Unternehmen, die da immer noch große Altlasten vor sich herschieben – beides verursacht durch den über Jahrzehnte die Trägheit fördernden Kündigungsschutz.

RMD

P.S.
Ganz schlimm war das bei dem Unternehmen, bei dem auch ich mal gearbeitet habe. Da gab es eine Betriebsrente. Die verfiel, wenn man vor dem 10. Jahr der Zugehörigkeit gekündigt hatte. Ab dem 11. Jahr war die Abfindung für sicherheitsbewusste Menschen aber auch schon von entscheidungsrelevanter Höhe – und stieg mit jedem Jahr. Ein paar meiner Freunde haben dann pünktlich nach 10 Jahren gekündigt. Ganz wenige ein paar Jahre später, um sich neu zu orientieren. Viele blieben aber. Bis zum bitteren Ende. So sind ganze Heerscharen in den Konflikt der „Freistellung mit Abfindung“ gegangen. Über die Jahre mit schleichend aber stetig wachsender Unzufriedenheit. Manipuliert und korrumpiert durch die schwindelnde Höhe der Abfindungen. Und das hat außer ein paar Gewinnern den meisten gar nicht gut getan. Und im nach hinein bin ich froh, dass ich nach gut vier Jahren gekündigt und immerhin zwei Drittel meiner Betriebsrente geopfert habe.

P.S.1
„Schweizer Verhältnisse“

Kündigungsfristen

In der Schweiz beträgt die Kündigungsfrist:

Dauer des Arbeitsverhältnisses

Gesetzliche Kündigungsfrist

Kündigungstermin

in der Probezeit 7 Tage beliebiger Tag
0 bis 1 Jahr 1 Monat Zum Monatsende, falls vertraglich nicht anders vereinbart
2 bis 9 Jahre 2 Monate Zum Monatsende, falls vertraglich nicht anders vereinbart
10 und länger 3 Monate Zum Monatsende, falls vertraglich nicht anders vereinbart

Es gibt einen Kündigungsschutz bei Krankheit und Schwangerschaft:

Kündigungsschutz

Nach Ablauf der Probezeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis, wenn der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden beispielsweise durch Krankheit oder durch einen Unfall ganz oder teilweise arbeitsunfähig ist, während der folgenden Fristen nicht kündigen:

Dauer des Arbeitsverhältnisses

Kündigungsschutz bei Krankheit

0 bis 1 Jahr während 30 Tagen
2 bis 5 Jahre während 90 Tagen
6 Jahre und länger während 180 Tagen

Eine Kündigung, die während einer solchen Sperrfrist ausgesprochen wird, ist nichtig.

Tritt die Krankheit nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber ein, verlängert sich die Kündigungsfrist um die Dauer der krankheitsbedingten Abwesenheit; die Kündigung ist aber gültig.

Während der Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin und in den ersten 16 Wochen nach der Geburt des Kindes darf der Arbeitgeber nicht kündigen.

Außerdem kennt das schweizerische Recht den Begriff der missbräuchlichen Kündigung. Eine solche liegt beispielsweise vor, wenn die Kündigung wegen einer persönlichen Eigenschaft, die in keinem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht, ausgesprochen wird.

Quelle: http://www.gaav.de/arbeitsrecht-kuendigungsfristen.php

P.S.2
Alle Artikel meines Unternehmertagebuchs findet man in der Drehscheibe!

4 Antworten

  1. So ganz so einfach ist es IMHO dann aber leider doch nicht.

    Zum einen ist die wirtschaftliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers (und ich nehme hier dann doch besser diesen Begriff) vom Arbeitgeber wesentlich höher als anders herum, so dass man eigentlich nicht von einem Ungleichgewicht reden kann.

    Zum anderen sehe ich hier eine sehr einseitige Schuldzuweisung: „Der Arbeitnehmer macht es sich bequem. Wäre da nicht dieser Kündigungsschutz und vor allem die Abfindung, wäre der selbe Arbeitnehmer viel motivierter oder würde gern neue Wege beschreiten.“

    Warum entfernt sich denn der Mitarbeiter von seinem Unternehmen, seiner Aufgabe? Wie wird von wem darauf reagiert? Ist es nicht auch Aufgabe des Arbeitgebers, dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter bestmöglich (bezogen auf verschiedenste Aspekte) eingesetzt werden?

    Ist es nicht in Unternehmen oft so, dass gerade auch Mitarbeiter, die schon lange dabei sind (das bedeutet eben nicht „träge“, sondern sehr oft „loyal“) eher nicht mehr gefördert werden, dass ein Umgang nach dem Moto „der geht eh nicht“ gepflegt wird. Wieso sollte die „Aufgabe“ des Mitarbeiters durch das Unternehmen zum Schaden des Mitarbeiters sein?

    Wenn man einem langjährigen Mitarbeiter ohne wirtschaftliche Not kündigt, hat man es vorher versäumt, für Veränderung zu sorgen, die diese Kündigung nicht notwendig macht. Wenn der Mitarbeiter dann trotzdem kündigt, ist das sehr schade, aber eine Entscheidung die der Mitarbeiter für sich trifft.

    Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Aufgabe des Kündigungsschutzes/der Abfindung nur ein Symptom heilt, aber nicht die Ursache bekämpft.

  2. @Michael:
    Danke für den Kommentar. Und einfach ist es nicht. Auch will ich Unternehmer und Unternehmen nicht aus ihrer Verpflichtung nehmen, für ihre Mitarbeiterverantwortung zu übernehmen. Und kenne persönliche eine Reihe von Mittelständlern, die zu ihrer Verantwortung stehen und für die dann auch der Kündigungsschutz nur ein geringes Problem ist.

    Aber dann gibt es auch die Unternehmen, die eher „systemisch“ arbeiten um besondere Ziele wie Marktführerschaft oder außerordentlichen Shareholder Value zu erreichen. Und da gibt es nach meiner Beobachtung oft unzufriedene Menschen.

    Da gibt es in meiner Bewertung dann nur eins:
    „Love it, change it oder leave it“.
    (Vorher stand hier an Stelle von „Love it“ – „Take it“. Habe ich dank Michaels Hinweis geändert).
    Und nach meiner Meinung entscheiden sich dann viel zu viele Leute für das „Take it“ – nicht zuletzt auch begründet durch die vom Kündigungschutz ja erst ermöglichte Verlustängste eben der „Sicherheit“, die ja in der Regel nur eine Sicherheit auf Abfindung ist und im übrigen sehr trügerisch ist (Insolvenz des Unternehmens, Veränderung der Rechtslage in der Krise …).

    Vielleicht noch zu Abhängigkeit und Gleichgewicht/Ungleichgewicht: Letzten Endes ist doch das Gut Arbeit auch nur ein Ware, die (mittlerweile weltweit) gehandelt wird. Und da kann man sich trefflich streiten, zu welcher Zeit und in welcher Branche der Arbeit-Käufer mehr vom Arbeit-Verkäufer abhängig ist oder andersherum.

  3. @rd
    Dann sehen wir das ja gleich.. das hat mir in dem Beitrag etwas gefehlt.

    Wobei ich den Spruch eher mit „Love it, change it or leave it“ kenne und dann die innere Kündigung mit „leave it“ gleichgesetzt habe.

    Bezogen auf die Abhängigkeit würde ich es so vormulieren: Für wen es einfacher zu verschmerzen ist, wenn der andere die Beziehung auflöst, der ist weniger abhängig. Diese Aussage kann man nicht pauschal beantworten. Ich würde da aber den Arbeitnehmer öfter in der schwächeren Position sehen.

    danke:)

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