Vor kurzem habe ich mir so richtig einen „Schiefer eingezogen“. In einer Besprechung zur Planung unserer IT-Infrastruktur mit fünf Menschen, vor denen ich fachlich wie menschlich extreme Hochachtung habe, ist mir die ja wirklich unglaubliche These entglitten, dass der „normale Mensch“ ein System wie MS-Office oder OpenOffice bzw. Neo-Office in der heutigen Zeit ja nur noch in Sonderfällen braucht. Die Reaktion aller Fünf auf meine Aussage war eindeutig (mir schien, dass mich alle für jetzt endgültig komplett verrückt geworden hielten). Eigentlich wollte ich nur zum Ausdruck bringen, dass zukünftig nur noch Spezialisten wie Berater oder Menschen mit Organisations- oder Sekretariatsaufgaben ein solch komplexes Werkzeug einsetzen würden, „normale“ Anwender aber anders arbeiten würden. Aufgrund der von mir gefühlten Reaktion meiner Kollegen habe ich dann natürlich sofort versucht, das Gespräch in ein anderes Fahrwasser zu bringen. Dieses Erlebnis hat mich nachdenklich gemacht, wieso ich eigentlich auf eine solch verrückte Aussage komme und ob ich am Schluss nicht vielleicht sogar Recht habe.
Ich kam auf die Idee, da ich bei mir selbst bemerkt habe, dass ich NeoOffice kaum mehr verwende. Vor meinem Wechsel von einem Windows-PC auf den Mac war ich selbstredend intensiver MS-Office-Nutzer (Sogar meine E-Mails habe ich mit Word erstellt, nicht zuletzt wegen der automatischen Rechtschreibkontrolle in Deutsch und Englisch). NeoOffice habe ich sofort nach Inbetriebnahme meines Macs installiert und war auch gleich so richtig begeistert. Jetzt habe ich den Mac vielleicht seit 8 Wochen und benutze Neo-Office nur noch ganz selten (und MS-Office sowieso nicht mehr), sondern schreibe in der Regel mit TextEdit vom Mac und nutze zusätzlich zweckabhängig ein paar handliche andere Editoren (z.B. wordpress am liebsten im Modus „code“) nach dem Motto schneller und einfacher. Und das ging ganz von selbst. Wie konnte das passieren?
Hier der Versuch einer Erklärung: Word wie auch der OpenWriter sind unheimlich mächtig. Sie können alles. (Fast) jeder Benutzer klagt, dass sie viel zu viel Funktionalität hätten, die kein Mensch benötigen aber das Arbeiten erschweren würde. Und für was kann man Word bzw. OpenWriter wirklich sinnvoll nutzen? Word ist sicher nicht optimal, wenn ich Texte fürs Internet erstelle. Eine wissenschaftliche Arbeit schreibe ich besser mit einem Werkzeug wie LaTeX. Wenn ich das Geschriebene nur drucken oder in einem „final format“ (PDF) weitersenden will, verzichte ich gerne auf den Overkill eines „Super-Word-Processors“. Für Entwürfe zum Weiterverarbeiten durch Dritte verwende ich OpenWriter oder ab und zu mal NeoOffice (oder entwerfe den Input-Text gleich in der E-Mail), das funktioniert bestens auch bei dem MS-Office nutzenden Empfänger.
Passiv verwende ich den OpenWriter von NeoOffice zum Lesen von komplizierten .doc-Dokumenten zum Beispiel mit Änderungsverlauf und ähnlichem. Aktiv verwende ich OpenWriter zum Erstellen von formalen Protokollen (passiert alle zwei Wochen). Das sind dann historische Formulare mit vielen Kästen und Linien, so, wie man sie früher hatte, um sie einfach handschriftlich und später mit der Schreibmaschine auszufüllen. Und so was geht wahrscheinlich wirklich mit einem komplizierten Textsystem am besten. Aber brauche ich das? Nur weil ein einfaches Stichwortprotokoll nicht so beeindruckend formal und amtlich wirkt?
Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass ich keine sinnvolle Arbeit mehr leiste, da ich Office nicht mehr nutze. Eine kleine Umfrage bei hocheffizienten und professionellen Leistungsträgern (oft Nutzer von Mac oder Linux-Systemen wie Ubuntu) hat mir aber gezeigt, dass diese seltsame Entwicklung nicht nur bei mir stattfindet. Viele Normalnutzer in dieser Welt nutzen Office-Software immer seltener und nur noch für ganz besondere Zwecke, aber nicht als generellen Editor. Man hat die Zeit nicht mehr, um ewig an Dokumenten herum zu „friemeln“. Und ich bin ich froh, dass ich mit meiner Ansicht nicht alleine auf dieser Welt bin.
Word ist natürlich immer noch „der Standard“. Häufig wird Word als Editor im Workflow eingesetzt. Auch das ist unteroptimal. Für die Erzeugung komplexen Schriftgutes gibt es hocheffiziente Spezialsysteme, mit denen Anwender komplexe fachliche Dokumente interaktiv mit Hilfe von intelligenten Bausteinen einfachst generieren können. Diese Werkzeuge haben dann auch noch einen vernünftigen Baustein-Erstellungs-Modus, so dass man kein Programmier-Knowhow für die Erstellung der Bausteine braucht. Und schließlich sind sie besser für die Implementierung eines Workflows geeignet als die individuellen Mega-Editoren, bei denen die Funktionalität der Textbausteine von komplizierter Makro- bzw. Programmiersprachen-Logik gesteuert wird. Ich glaube nicht, dass das Argument „Word ist halt Standard“ die Entwicklung von Mega-Software z.B. in VBA oder Makro-Logik zum Zwecke der Dokumentgenerierung rechtfertigt.
Aber nein wird man mir entgegenhalten: Das ist alles falsch! Hat nicht gerade im letzten fiskalischen Jahr Microsoft mit Office astronomische Gewinne eingefahren? Wird Word nicht an allen Volkshochschulen gelehrt? Saugt nicht jeder Computer-Anwender quasi das Word-Know „mit der Muttermilch auf“?
Die Zeiten ändern sich und haben sich schon geändert. Wieso sollte heute ein junger, unbedarfter Computer-Nutzer ein Bedürfnis nach OpenOffice oder MS-Office haben? Er kann doch alles Notwendige schon mit den vorhandenen Bordmitteln machen. Und was soll ein mobiler Teilnehmer des Internets mit modernen kleinen Endgeräten mit Word anfangen? Ich stelle fest, dass Kids, Teenager und Menschen in den Zwanzigern auch viel schreiben, aber Word oder OpenOffice gar nicht benutzen (und oft gar nicht kennen!). Das „Muttermilch-Argument“ zieht nicht mehr. Wird Word ein System für die Herrschaften über 40 (Traue keinem über 40) oder gar die Generation Vorruhestand? Aufgrund unser demographischen Entwicklung hätte Word dann ja genug Nutzer.
Gut, sagt vielleicht einer, auf Word kann man ja verzichten, aber was ist mit Powerpoint. Das braucht doch ein jeder. Das verstehe ich, habe ja auch Jahrzehnte lang alle meine Ideen in Powerpoint entwickelt und in Powerpoint-Folien gegossen. Ich wollte ja das Gedachte auch gleich vortragen können und mit meinen tollen Folien andere Menschen von meinen Ideen überzeugen! Aber für das Ordnen von Gedanken und das gemeinsame Entwickeln von Erkenntnis erscheint mir dann andere Werkzeuge wie Mindmap oder HyperBloxs geeigneter. Und um ein Bild zu entwickeln, das wirklich „mehr als Tausend Worte sagt“ brauche ich eh ganz andere Werkzeuge als Powerpoint.
Jetzt höre ich schon den nächsten Einwand: Aber auf die Tabellenkalkulation kann ja wirklich keiner verzichten. Dann wundere ich mich auch wieder. Die meisten Excel-Tabellen, die ich bekomme, sind einfache Listen, meistens ganz ohne Rechenoperationen! In den Zeilen stehen dann Inhalte wie Name, E-Mail-Adresse und Telefonnummer, ein Feld mit Teilnahme ja oder nein, vorne eine laufende Nummer. Excel zeigt nur die Anzahl an – und die oft falsch. Andere „Excels“, die mich erreichen, zeigen mir nur, dass der Absender nicht mehr in der Lage ist, auch nur einfachste Kopfrechnungen durchzuführen. Deshalb auch der Name Tabellenkalkulation – linke Spalte Nettopreis, rechts mit Mehrwertsteuer.
Ja – und dann gibt es noch die „Organisations-Spreadsheets“. Mitarbeiter werden genötigt, mit Excel Stundenzettel oder Reisekostenabrechnungen auszufüllen. Das finde ich grausam, insbesondere weil diese bürokratischen Notwendigkeiten viel besser webbasiert unterstützt werden können.
Natürlich kenne ich auch sinnvolle Einsätze von Excel: In der Hand des richtigen Beraters ist es eine gnadenlose Waffe. Das sind dann Spezialimplementierungen für ganz spezifische Problemstellungen. Nur der Autor versteht Problem und Implementierung. Oder: Ein Obst- oder Gemüsehändler kann aufgrund seines unbewusst/intuitiven und bewussten Marktwissens gut schätzen, zu welchem Preis er welche Menge einer Sorte verkaufen kann. Im Kopf kann er aber mit Sicherheit nicht optimieren, wie er sein Angebot optimal strukturiert. Und wenn er dann über die Fähigkeit verfügt, Excel richtig im Sinne eines kommerzielle Ergebnis-Optimierung und -Maximierung einzusetzen, wird er seinen Gewinn beträchtlich steigern. Auch für die Aufwandsermittlung zur Erstellung eines Werkstückes mag mit Excel gut unterstützt sein. Aber wer ist schon Berater, Gemüsehändler oder Kalkulator.
Zusammenfassung: Sicher gibt es Spezialisten, für die Powerpoint und Excel wie auch Access bzw. die Gegenstücke der OpenSource zentrale Werkzeuge von absoluter Wichtigkeit sind. Manager und Unternehmer sollten jedoch ihre Zeit und Kraft nicht mit solchen Werkzeugen „verfrickeln“, sondern sich um ihre Führungsaufgabe kümmern. Und Ingenieure, Informatiker und Wissenschaftler brauchen keine Bevormundung vom „Big Brother“, sie wissen schon, welche Werkzeuge sie wirklich brauchen.
RMD
P.S:
Ich kenne übrigens eine ganze Reihe sehr namhafter Informatik-Professoren, die mit Office-Systemen auch nichts am Hut haben.
2 Antworten
Hallo Roland,
Bei der Suche nach einem einfachen aber brauchbaren Textverarbeitungsprogramm bin ich schon vor längerem auf „Abiword“ gestossen. Das ist auch open source und für so gut wie alle Plattformen erhältlich, spricht alle relevanten Dokumentformate und benötigt teilweise noch nicht mal eine Installation (kann also z.B. von USB-Stick gestartet werden).
Gruß
Bernhard
Of course I agree that MS Office is too complex for normal mortals.
I use Word also mainly for the spelling checker (in German or English).
I use it for translating in situ, and I can save typing by changing “ und “ to “ and “ everywhere. But here comes the first problem; if I change „Rechner“ to „computer“, MSWord (my version?) insists on still starting it with a capital letter. This is typical MS philosophy that it is better to do what is „right“ than what I tell it.
Also I have to move pieces of text around (different word order in German and English), and MSWord starts to refuse to do it (I still do not know why).
My MSWord grammar checker is useful only for telling me when I have things like double space. It grumbles about quite correct things, as well as freestyle writing. It flags „vi“ in the next sentence (the NIH syndrome).
I used to use vi and ex for almost all editing, including html stuff. I used to convert text files using ex in batch mode (e.g. converting an error reporting file from text to Excel).
Of course most of us want something simple plus one or two particular features. But it is often easier to work constantly with an overkill product, rather than to work mainly with a simple product and switch to the more complex for one or two features. Nevertheless, for me MSOffice has gone too far into complexity.
But, Roland, are you not going down the same path as MS? The posting that elicits this comment could surely have said it all in less than half the words!