Hier ein Gastartikel. Den Autor möchte ich noch nicht nennen, da ihm dieser Artikel unter Umständen zum Nachteil gereichen könnte.
Rückblick, Momentaufnahmen und Nachgedanken.
Ein auf wissenschaftlichen Grundlagen stehende Arbeit kann ich nicht anbieten, aber Beobachtungen aus meinem Berufsleben schildern.
Wandel bestimmt ein ökonomisches System und in der Bundesrepublik begannen die Veränderungen unmerklich 1967, als das stetige Wachstum zum ersten Mal kurz ins stocken geriet. Das bestehende Modell der freien Marktwirtschaft westeuropäischer Prägung wurde dadurch noch nicht revolutioniert, auch nicht von den folgenden Ölschocks der Jahre 1973 und 1983.
Die „Deutschland AG“ mit ihren charismatischen Führern hielt noch bis zur Wende 1989 durch. Die Gründerväter des Nachkriegsmittelstandes saßen bis Anfang 1990 auf ihren Plätzen. Danach leitete die beginnende Globalisierung eines einzigen Wirtschaftsmodells den Wechsel ein. Dieses neue Wirtschaftsmodell ist mehr unter dem Namen „New Economy“ bekannt, andere sprechen auch vom Neoliberalismus. Eine ideologische Grundlage für das „New Economy“ Modell hat wohl Milton Fridman mit seinen „Chicago Boys“ gelegt.
Der ‚Share Holder Value’ rückte in den Vordergrund. Klassische Wertschöpfungen durch Produktionsprozesse sind zu langwierig und mussten optimiert werden. Konzernergebnisse unter >10% gelten fortan als schwache Performance. Werden die Erwartungen des ‚Share Holder Value’ nicht erfüllt, wechselt man die Unternehmensführung.
Der Stellenwert der Führungskräfte ist die „Performance“ und Rentabilität des nächsten Resultats, denn den Anlegern wurde schließlich ein hoher Ertrag ihres Portfolios versprochen.
So wechseln die Stars der „New Economy“ die Unternehmen, Auch völlig unterschiedliche Branchen waren kein Hinderungsgrund mehr für einen Wechsel: Vom Versicherer zum Elektrokonzern, vom Medienkonzern zur Kaufhauskette, usw. – es mangelt nicht an Beispielen.
Wie geht das?
Man braucht spezielles Werkzeug, um Unternehmen transparent für Börsianer zu machen „Controlling“ ist sehr wichtig, um zeitnah den „Shareholder Value“, den Aktienkurs und die Dividende zu ermitteln.
Diese Entwicklung erklärt auch den Erfolg von SAP. Der Programmierer bietet für das Erreichen von Transparenz, Prozesssteuerung und Kontrolle mit einem universellen Produkt das nötige Werkzeug an.
Der Korrektheit halber muss gesagt werden, dass kurzfristig finanzielle Erfolge mit diesen Werkzeugen in Konzernen durchaus erzielt werden können, aber ob die wirklich nachhaltig sind, wird sich zeigen.
Fakt ist, dass sich dieses „Business Modell“ durchgesetzt hat. „Business Schools“, die Medien und die Heerscharen von Unternehmensberatern, die mit der „New Economy“ aus dem Boden schossen, predigen in ihren Seminaren und Aktionen vor Ort die Regeln der „New Economy“.
Modell 1 – Rückblick
Bewerbungen schrieb ich nur zweimal, einmal für meine Lehrstelle und dann, als ich die Seefahrt verlassen wollte, um bei einer Werft anzufangen.
Die weiteren Anstellungen ergaben sich zufällig.
Heute leite ich eine Niederlassung für ein deutsches Mittelstandsunternehmen. Es werden technisch hochwertigeund erklärungsbedürftige Lösungen verkauft. Typisch ist für das Familienunternehmen, dass schon sehr frühzeitig weltweit Niederlassungen aufgebaut wurden und somit zu den deutschen Exporterfolgen beigetragen wird.
Ich wurde vom damaligen Direktor, es gab nur einen in der Firma, auf einer Tagung angesprochen und gefragt, ob ich eine Auslandsniederlassung aufbauen möchte, weil ich den Markt gut kennen würde und die fachlichen Voraussetzungen erfüllte, da ich bei einem Kunden arbeitete.
Mein Umsatzziel wurde durch eben diesen Direktor festgelegt, der, basierend auf seinen Marktbeobachtungen, eine Zahl vorgab, von der er meinte, dass sie zu erreichen wäre.
Dies geschah unbürokratisch, quasi per Handschlag, wie bei all meinen Kollegen im Ausland auch. Eine Personalabteilung gab es trotz 450 Mitarbeitern damals noch nicht. Die Personalbelange wurden von der Buchhaltung und dem Finanzchef mit erledigt.
Gleichzeitig gab mir der Finanzchef einen vereinfachten Kontenplan in die Hand, mit dem man monatlich den Umsatz, Ertrag, Aufwendungen und Gewinn ablesen konnte. Der Direktor bezeichnete diesen Plan abfällig als ‚Tintenpisserei’, beide Herren waren aber befreundet. Die ausländischen Geschäftsführer berichteten alle dem
Direktor.
Also zusammenfassend gesagt, wurde eine Niederlassung gegründet, die auf der Marktkenntnis und auch dem ‚Gefühl’ des Direktors basierte. Bei der Personalentscheidung verließ er sich auf seine Menschenkenntnis.
Sein Handwerkszeug hatte er sich in 20 Jahren sehr erfolgreicher Führung gesammelt:
- Produktkenntnis, da er Entwicklungen anschob, die vom Markt gefordert wurden.
- Produktionskenntnisse, da Probleme zwischen ihm, dem Chefkonstrukteur und der Fertigung besprochen wurden.
- Marktkenntnis, da von vielen Niederlassungen informiert und auf Messen präsent und natürlich bei den Großkunden und Großaufträgen entscheidend involviert.
Das hat sich geändert.
Modell 2 – Heute
Wie heute die Aufgabe zur Einstellung eines Niederlassungsleiters gelöst wird:
- Die Firma beauftragt einen externen Personalberater „Personal Consultant“.
- Die Aufgaben des Arbeitsplatzes werden definiert.
- Eine Arbeitsplatzbeschreibung erfolgt.
- Die Kandidaten werden durch den ‚Consultant’ vorgeprüft und die Auswahl durch den Vertriebsdirektor getroffen.
- Die Personalabteilung ‚Human Resources’ nimmt die Einstellung vor.
- Ein Businessplan wird erstellt.
- Ein Budget für die nächsten drei Jahre wird erstellt.
- Falls keine Erfahrungen vorliegen, basieren die Zahlen auf Statistiken des Maschinenbaus.
- Die Arbeit wird durch ein dreimonatiges ‚Controlling’ begleitet, das die Zahlen für Auftragseingang und Umsatz dokumentiert.
- Gleichzeitig werden monatliche Bilanzen für die Buchhaltung, Banken und Wirtschaftsprüfer geschrieben.
Diese Aufstellung ist sicher nicht für alle unbedingt schockierend, doch ist es klar, dass sich einiges seit meiner Einstellung veränderte.
Zum alten Handwerkszeug meines damaligen Direktors kamen neue Werkzeuge samt Führungsebenen hinzu:
- Consulting
- HR = Human Resources
- Reporting
- Controlling
- R & D = Research & Developement
- IT
- Marketing
Bemerkenswert sind schon die Begriffe.
Was war geschehen?
Die mittelständische Firma wurde nach dem Vorbild eines modernen und börsennotierten Unternehmens umgestaltet. Entscheidungen, die vorher der Inhaber selbst fällte oder ein langjähriger Direktor oder Geschäftsführer, wurden nun organisatorisch festgeschrieben und nach den Regeln und mit den Werkzeugen der „New Economy“ neu verteilt.
Die neuen Entscheidungsträger kamen nicht mehr aus der Firma oder Familie, sondern von Außen und hatten in diesem Fach oft noch nie gearbeitet.
Sie konnten sich nicht auf langjährige Erfahrungen in der Branche stützen und Bauchentscheidungen treffen. Sie sind auf die „New Economy Tools“ angewiesen.
Warum werden diese neuen Werkzeuge benutzt?
Alle Prozesse müssen transparent und vorhersehbar werden, damit die geplanten Ergebnisse auch eintreffen. Der Verlauf muss ständig überwacht und kontrolliert werden, wenn man sich nicht auf seine Erfahrungen und eine Hausmacht stützen kann. Also muss die Verantwortung verteilt werden und ermittelbar sein.
Sind diese Werkzeuge für den Mittelstand geeignet?
Nein, wenn es um technisch hochwertige, erklärungsbedürftige und individuell zugeschnittene Produkte geht.
Wenn alle Abläufe in ein System gepresst werden und die Prozesse peinlichst zu beachten sind, gibt es keine Möglichkeit für individuelle Aktionen, wie sie der Kunde des Öfteren verlangt.
Das ist fatal für einen Spezialisten von Sonderanwendungen.
Die Mitarbeiter kapitulieren vor der Technokratie. Es wird abgewinkt, wenn etwas sehr schnell gehen soll, denn damit „handelt man sich nur Ärger ein“. Die Mitarbeiter müssen sich rechtfertigen, warum der vorgeschriebene Weg der Prozesssteuerung verlassen wurde. Die Folge ist Resignation, die sich durch Erhöhung des Krankenstandes ausdrückt.
Ein automatisches Controlling informiert die Hierarchie per Email über eine Preisabweichung, Prozessabkürzung, Sonderaktion, etc.
Ergebnis: Noch mehr Frust. Wer will in einer Firma arbeiten, wo bei jedem Handgriff auf die Finger geschaut wird.
Ein universelles Betriebsprogramm greift ab der Angebotserstellung über Konstruktion, Auftragsabwicklung, Einkauf, sowie Fertigung und hat die Reaktionszeiten für den Vertrieb erheblich verlängert, da das ‚System’ nur arbeitet, wenn alle geforderten Daten restlos eingegeben wurden.
Was macht mir Sorgen?
Die Erfahrung scheinen meine Sorgen zu bestätigen:
- Trotz Steuerung und Kontrolle altern Produkte naturgemäß, so dass diese ein fortgeschrittenes industrielles Alter erreichen und kostenmäßig kaum zu optimieren sind, wenn man von einer radikalen Lösung absieht und die Produktion z. B. in Niedriglohnländer verlegt. Kostensenkung muss durch Neu- und Weiterentwicklungen betrieben werden.
- Wer nicht vom Fach ist, kann auch keine neuen Ideen vom Markt mitbringen und kann sich nur auf seine Management Werkzeuge stützen und geht nach dem Buch vor.
- Mit der Verteilung von Verantwortung wird sich auch der unmittelbaren Verantwortung für Entscheidungen entzogen!
Es gibt aber wohl kein „zurück“ mehr.
Ergebnis meiner Betrachtung
Der Einsatz der neuen Werkzeuge bringt mittelständischen Betrieben keine Vorteile.
Prozesssteuerungen sind nur für eine effektive Produktion wirksam, aber nicht für den Vertrieb und die Entwicklung.
Die Stärken des Mittelstands bleiben bei diesem Modell auf der Strecke, nämlich die rasche und flexible Innovationskraft, die sich den Veränderungen des Marktes geschmeidig anpasst.
Der Mittelstand ist auf Führungspersönlichkeiten angewiesen, die aus dem Arbeitsgebiet, von Kunden oder Zulieferern, kommen und mit allen Ebenen des Vertriebs, des Betriebes und der Kundschaft vertraut sind.
Es bedarf der ständigen verbalen Kommunikation, die nicht nur über Arbeitskreise, Lenkungskreise, Kick-off-meetings funktioniert, sondern sich auch spontan ergeben muss, warum nicht bei einem Bier?
Kreativität lässt sich m.E. nicht an- und ausstellen und gute Einfälle warten nicht bis zum nächsten freien Termin oder nach den Ferien.
Diese Führungspersönlichkeiten gibt es und ich bin ihnen auf meinem Weg oft begegnet, so dass ich durch sie Erfahrungen sammeln konnte und gerne alles für den Erfolg gegeben habe.
Dogmenkritik
- Haben wir uns nicht vor dem Mauerfall über die Fünfjahrespläne des kommunistischen „COMECON“ lustig gemacht?
- Haben die Fünfjahrespläne funktioniert?
- Die Planung lief, aber nie gut genug, um Versorgungsengpässe zu vermeiden oder bei der Produktentwicklung führend zu sein.
- Der Westen fühlte sich einer Planwirtschaft überlegen?
Nun haben wir uns auf einen ähnlichen Weg gemacht, indem wir die Werkzeuge der Finanzwelt benutzen, um auch die kleinste Firma mit den „New Economy Tools“ zu führen. Es heißt nun nicht mehr Planwirtschaft, sondern „Business Plan“ oder „Budget“ oder „Quarterly Reporting“.
Ich schreibe nun detaillierte Dreijahrespläne.
Die Ergebnisorientierung geht zu Lasten der Nachhaltigkeit. Bezeichnenderweise haben wir die Sprache der Ideologen für die Neue Ökonomie gleich mit übernommen.
Ampgb
🙂 (Autor mir persönlich gut bekannt)
4 Antworten
Nach meiner Erfahrung findet bei solchen Prozessen oft eine gefährliche Entwicklung ab. Das „Neue Management“ eines Unternehmens in dieser Phase der Transformation entdeckt die verschiedenen Instanzen (Geschäftsstellen, Niederlassungen, Bereiche …) des Unternehmens als neue Einnahme-Quellen.
Und diese operativen Einheiten werden dann auf den Zweck reduziert, die aufwendigen zentralen Strukturen oft ergänzt durch ein „Holding Management“ zu ernähren und zusätzlich den „shareholder value“ fürs Unternehmens-Gesamt sicher zu stellen.
DerZahlenfetischismus, philosophisch betrachtet.
“Drück Es in einfachen Zahlen aus, damit wir es verstehen können “
http://ed.iiQii.de/gallery/Die-iiQii-Philosophie/DieHoehle_wikipedia_org
This sounds very normal. Things go the same way with American firms. So why is it that German and American firms seem to be among the most successful? The rest must be in a terrible mess!
I have just read „The Black Swan“ which drastically criticises finance organisations and academics in USA and the world; a mind blowing book, which I hope to review for this blog. It rings true, despite a lot of careless slips.
Da liegt die Frage nahe: Wie kommt es denn zu diesen Entwicklungen? Liegt es vielleicht daran, dass Bildung und Sozialisierung der Menschen die Grundlage dafür sind? Ziehen wir uns die „Egoisten“ damit selber heran? Was müssten wir den anders machen, um wieder von diesen fehlerhaften Entwicklungen wegzukommen?
Diskutiert wird ja schon viel, z.B. auch hier:
http://www.omnisophie.com/der-oekonomische-stimulus-response-wahn-simpler-chefs/
Auch nur ein Aspekt des gesamten Themenspektrums.