Wikipedia und ich #4 – Wer und was warum relevant oder nicht relevant ist – die RKs ♫

Heute geht es um die Abkürzung RK. Bei RK denke ich an den Ronneburger Kreis, einem gemeinnützigen Verein, bei dem ich Mitglied bin. Der Ronneburger Kreis wurde von Menschen gegründet, die sich bei Management-Trainings von Rupert Lay kennengelernt haben und die der Meinung waren, man müsste etwas für ethisches Handeln in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft tun. Ich war Mitgründer und habe lange Jahre im Kuratorium und jetzt im Beirat des RKs gewirkt. Meine Erfahrung: als Lobby für ethisches Handeln hat man es auch nicht leicht.

Heute geht es aber um die Relevanzkriterien in Wikipedia, abgekürzt RK:

RK bzw. WP:RK
Sind Abkürzungen für Relevanzkriterien; WP:RK funktioniert als Abkürzungsredirect auf dieselben

(original aus dem Glossar von Wikipedia kopiert)

Das mit der Relevanz ist natürlich eines der Hauptprobleme einer demokratisch organisierten Enzyklopädie. Wikipedia ist multidimensional geworden. Gestartet als allgemeine Enzyklopädie enthält es heute (fast) alles. Man findet unter anderem:

  • Ein Nachschlagewerk für IT-Probleme (z.B. was gibt es für Ports?)
  • Beschreibungen technischer Sachverhalte (Wie funktioniert eine Nabenschaltung?)
  • Definitionen von (philosophischen) Begriffen (Was ist Glück?)
  • Beschreibungen von Unternehmen (Was ist Siemens?)
  • Das neue „Who is who“ für Menschen und Unternehmen (Wer ist Rupert Lay?)
  • Geschichten der Pop-Musik (Was ist Hey Jude?)
  • Begriffe aus dem Management (Was sind „Lessons Learned „?)
  • Schachvereine (Gibt es einen FC Bayern München im Schach?)
  • und vieles mehr …. (Was ist wikipedia?)

Ich könnte die Liste noch ziemlich lange fortsetzen …

Was ist denn relevant?


Zuerst die Definition von Relevanz in Wikipedia. Man sieht am Eintrag, dass der Begriff nicht einfach ist. Deshalb ein (un-)lustiges Beispiel für persönlich empfundene Relevanz.

Bei der S-Bahn im Großraum München ist die von mir gefühlte Pünktlichkeit deutlich schlechter als die von der Deutschen Bahn AG veröffentlichte Statistik zur Pünktlichkeit. In der Statistik sind fast 80 % der S-Bahnen pünktlich, mein Eindruck als Nutzer ist, dass es nur jede zweite ist. Das liegt unter anderem auch daran, weil in der Statistik eine Verspätung von 5 Minuten als nicht relevant gewertet wird und deshalb eine S-Bahn erst dann als verspätet gezählt wird, wenn sie mehr als 5 Minuten später kommt. Fünf Minuten Verspätung seien nicht relevant. Das lasse ich für den Zug von Hamburg nach München gelten.

Wenn ich aber von Riemerling nach Neuperlach will, dann sind 5 Minuten Verspätung bei 6 Minuten Fahrzeit schon relevant. Wenn die Zugfolge (wie ab und zu ab Unterhaching) im 10-Minuten-Abstand erfolgen soll, sind 5 Minuten die Hälfte des Takts und deswegen auch relevant. Und wenn die S-Bahn sich in einen Tunnel einreihen soll, in dem (theoretisch) im Minutentakt gefahren werden kann, so hat das auch relevante Folgen. Wenn dagegen der Zug mit dem Atommüll nach Gorleben einen Tag Verspätung hat, dann ist das sicher nicht relevant, man denke nur an die vielen 100.000 Jahre, die der Müll noch strahlen wird.

In Wikipedia ist es natürlich noch viel schwieriger mit der Relevanz, gerade wenn es um Personen, Unternehmen oder gar Sport und Sportvereine geht. Aber es gibt für alles klare und demokratisch erstellte Regeln. Wer und was in Wikipedia rein darf, das steht in den Relevanzkriterien.

Nehmen wir zum Beispiel Schachvereine. Ein Schachverein gilt als relevant, wenn er einmal in einer höchsten nationalen Spielklasse und/oder in einer internationalen Spielklasse gespielt hat. Und dann wird in den Regeln präzise festgelegt, was in welcher Zeit und in welchem Land als höchste nationale Spielklasse zu gelten hat. Die Bayernliga von 1968 ist da nicht dabei, obwohl sie damals die höchste deutsche Spielklasse war. Das hat 1968 (da gab es im Schach noch keine Bundesliga) aber nicht gereicht. Da musste man als Verein in der Endrunde der deutschen Meisterschaft sein, um heute relevant zu sein. Der an Mitgliedern stärkste Verein ist den RKs folgend nicht relevant und darf so nicht in Wikipedia rein. Auch ein Verein, der in 1873 gegründet wurde und heute noch existiert, ist nicht relevant, es sein denn, er wäre mal Deutscher Meister geworden. Sollte ja auch in 135 Jahre der Existenz möglich gewesen sein. Man sieht, „gerechte“ Relevanzkriterien festzulegen ist gar nicht einfach.

Gerade bei „Wirtschaftsunternehmen“ sind die Relevanzkriterien besonders umstritten:

Als relevant für einen enzyklopädischen Eintrag gelten Unternehmen, die

  • mindestens 1000 Vollzeitmitarbeiter haben oder
  • mindestens 20 Zweigniederlassungen / Produktionsstandorte / Filialen (keine Verkaufsbüros/Handelsniederlassungen etc.) besitzen oder
  • an einer deutschen Börse im regulierten Markt oder in einem gleichwertigen Börsensegment im Ausland gehandelt werden oder
  • einen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro vorweisen oder
  • bei einer relevanten Produktgruppe oder Dienstleistung eine marktbeherrschende Stellung oder innovative Vorreiterrolle haben (unabhängige Quelle erforderlich) oder
  • eines dieser Kriterien historisch erfüllten.

(Originaltext Wikipedia, 16. 11. 2008, 19:35)

Eine klare Definition, die natürlich viele „relevante“ Unternehmen ausschließt. Und da lief auch gerade wieder eine heftige Diskussion innerhalb Wikipedias ab (nach dem Motto: „Wikipedia ist kein Mädchenpensionat“), ob man die RKs für Unternehmen nicht erweitern sollte. Die Bandbreite der Meinungen geht da weit auseinander. Es gibt da auch Meinungen wie die, dass Unternehmen mit mehr als 5 Mitarbeitern relevant sind.

Die Relevanz von Personen ist auch ein schwieriges Thema. Natürlich lockt die Eitelkeit viele Menschen ins moderne „Who is who“. Und da wird es schwierig, wer rein darf und wer nicht. Mit meinem Selbstversuch bin ich ja schnell und den Kriterien folgend absolut zu recht gescheitert. Aber auch da gibt es interessante Konstellationen. Wie überall hat der Fußball auch in Wikipedia eine besondere Rolle. Als bekennender Haching-Fan habe ich natürlich nach den Spielern der Spielvereinigung gesucht.

Da habe ich auch den Torwart Marcus_Stolzenberg gefunden, den ich nicht kannte. Er hatte nur ganz wenige Einsätze in der ersten Mannschaft von Haching (und auch sonst nicht), erfüllt aber die Relevanzkritierien für Fußballspieler. Auch hierzu habe ich vor kurzem in Wikipedia eine leidenschaftliche Diskussion entdeckt: Ist ein Spieler, der nur einmal drei Minuten in der 2. Bundesliga zum Einsatz kam, relevant? Nach den Regeln sicherlich, aber man darf zweifeln, ob dieser junge Mann relevanter ist als ein Abteilungsleiter, der bei Siemens oder BMW 40 Jahre gearbeitet hat.

Technisch könnte man alle Menschen und Unternehmen in Wikipedia „reinlassen“. Aber wie kann man den hohen Qualitätsanspruch halten, wenn man eine solche Artikelflut zulässt? Wer soll das alles prüfen und gegebenenfalls korrigieren? Wer hält es auf dem Laufenden? Hilft ein Verfallsdatum für nicht gelesene und gepflegte Artikel? Alles noch zu lösende Probleme mit spannenden Diskussionen.

Der Prozess der demokratischen Meinungsbildung ist auch in Wikipedia nicht einfach, auch wenn mir scheint, dass er dort deutlich konstruktiver erfolgt als bei unseren politischen Parteien. Dazu gehört auch das Entwickeln von nPOVs (neutral Point of View), der Begriff kommt dann in der nächsten Folge von „Wikipedia und ich“ dran.

RMD

P.S.

🙂 Beim Prominentenkick habe ich auch schon mitgemacht, aber selbst deswegen bin ich nicht relevant! So erfreue ich mich an meiner Irrelevanz. Und weil ich es oben erwähnt habe, lasst uns gemeinsam Paul und sein Hey Jude (Vorsicht Musik!) anhören .

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