Wohin gehst Du, Europa?

Europa sollte eins werden. Zu einem starken Kontinent, der mit einer Stimme spricht. Mächtig, um sich nicht dem Druck anderer Nationen (USA, Russland, Indien, China …) beugen zu müssen, sei dies wirtschaftlich oder gesellschaftlich.

Es sollte das Europa eines Wertekonsens werden, der auf Menschenrechten, Aufklärung und Demokratie aufbaut. Ein vereinter Bund von Nationen, einig und klar positioniert, mit einem stabilen außenpolitischer Profil. Und mit einem starken EURO, der die europäische Wirtschaft unabhängig macht von Währungsspekulationen.

So der europäische Traum, so die Theorie. Wie aber sieht die Praxis aus? Von einheitlicher Außenpolitik keine Spur. Eingriffe von Drittländern in die Rechte europäischer Bürger werden toleriert bis ignoriert. Beim Abkommen zum Welthandel beugt sich Europa den Interessen anderer Nationen und internationaler Konzerne und hält dies vor seinen Bürgern geheim. Dies alles haben wir in den letzten Wochen wieder erlebt.

Aber auch der Wertekonsens stimmt nicht mehr. Die Länder Europas driften auch hier auseinander. Zwei aktuelle Beispiele sind schlimme Symptome: Das in Frankreich geplante Verbot der Prostitution und die Verschärfung der Abtreibungsgesetze in Spanien. Beide Gesetzesvorhaben erscheinen mir unklug und heuchlerisch.

In Frankreich soll die Prostitution verboten werden. Ohne zu bedenken, dass dieses Gewerbe nicht ohne Grund als das älteste der Welt bezeichnet wird. Für die Argumentation für das Verbot werden sogar ehemalige Frauenrechtlerinnen wie Alice Schwarzer benutzt. Um die Frauen vor Schaden zu bewahren will man diesmal nur die Freier bestrafen. Und kriminalisiert damit die Frauen doch wieder.

Dieses Gesetz wird nichts bewirken. Vielleicht dass in Frankreich ein paar Kongresse weniger stattfinden. Vielleicht profitiert sogar Deutschland und Bayern, weil die eine oder andere Konzernzentrale wieder aus Frankreich nach Berlin oder München umzieht. Das Sexualleben der französischen Männer wird sich aber nicht ändern …

Die aktuelle Entwicklung in Spanien geht auch einen großen Schritt zurück. Jetzt bin ich bestimmt kein großer Befürworter von Abtreibungen. Ich mag Kinder. Ich weiß, das die Zeit des Lebens schnell vergeht und gerade die einfachen Lebensentscheidungen sich im nach hinein gesehen oft als ziemlich falsch erweisen. Ich weiß aber auch, als welches Unglück Frauen eine ungewollte Schwangerschaft empfinden können. Und so schwierig das Thema Abtreibung sein mag, finde ich die in Deutschland übliche Regelung als sehr verantwortet.

Spanien geht da aber jetzt einen anderen Weg. Was werden die Folgen sein? Die armen Frauen – und da glaube ich gibt es in Spanien gar nicht so wenig – werden wieder zum „Engelmacher“ gehen. Und die wohlhabenden machen halt einen Kurzurlaub mit Full Service im Nachbarland. Das kann doch nicht der Sinn der Sache sein.

Im Kontext der Vereinbarung der großen Koalition zum Mindestlohn hat der CSU-Vorsitzende  und bayerische Landespräsident Horst Seehofer gesagt: „Wir müssen Gesetze machen, die auf die Lebenswirklichkeit passen“. Da hat er zweifelsfrei Recht. Weder das Verbot der Prostitution noch die Verschärfung der Abtreibungsregeln werden Lebenswirklichkeit gerecht. Sondern moralisieren nur.

Ich meine, dass sinnvolle Gesetze eine Chance haben sollten, exekutiv umgesetzt werden zu können. Das scheint mir auch bei beiden nicht der Fall zu sein. Die Franzosen müssten ihre Sittenpolizei massiv ausbauen. Aber wie soll das gehen? Ähnlich in Spanien. Oder hoffen die Gesetzgeber auf den Denunzianten?

Schlimm wäre es, wenn die Franzosen und Spanier sich zum moralischen Vorbild für Europa erheben. Und die Lobbyisten wie die Kirche durch solche Regelungen ermuntert werden, ihren Einfluss wieder auszudehnen. Für einen moralischen „Rückfall ins Mittelalter“.

Aber für Europa tut es mir leid. Wenn die Länder Europas mit so fragwürdigen Gesetzen zu menschlich wichtigen Themen auseinander driften, wie soll dann Europa jemals einen gesellschaftlichen Konsens finden und eine für die Welt relevante Werte-Instanz werden.

RMD

3 Antworten

  1. Wie immer ging Frankreich einen eigenen Weg. Die Kommunistische Partei hat in Frankreich nach WKII dafür gesorgt, dass Bordelle verboten wurden. Seitdem spielt sich ein Großteil der Prostitution auf den Straßen ab. Heute haben sich haarsträubende Zustände auf den Ausfallstrassen und in den Städten entwickelt. Nun sorgt wieder eine Sozialistin für Veränderungen. Es ist müßig über Sinn und Zweck dieses Gesetzes zu diskutieren, das die Freier bestraft, wenn sie zu einer Prostituierten gehen. Es ist schlicht unmöglich, die Einhaltung dieser Reglung Durchzusetzen und das Verhalten zu ändern. Genauso wenig wie ein Alkoholverbot die Menschen vom Trinken abhält oder vom Drogenkonsum, genauso wenig wird dieses Gesetz die Prostitution verhindern. Es bleibt abzuwarten, wie sich der „Markt“ anpassen wird. Die französische Rechtslage wird den Flatrate Bordellen in Spanien, Deutschland, Belgien und Niederlanden neue Besucher bescheren.

  2. EUROPA kommt nicht so schnell voran, wie wir es uns wünschen. Wir sollten nicht so ungeduldig sein, denn EUROPA hatte sich fast zweitausend Jahre selbst zerfleischt und war nur unter Gewalt für wenige Jahre unter Kaisern oder Diktatoren „vereint“. Nun sind wir friedlich geworden und streiten in friedlichen ökonomischen Wettbewerb. Dabei ist EUROPA in eine Schieflage geraten. Die einen waren zu erfolgreich, die anderen gingen andere Wege, die jäh durch die Bankenkrise gestoppt wurden, mit fatalen Folgen. Logisch, dass dort an unserem europäischen Weg gezweifelt wird und die Schuld immer bei den Anderen gesucht wird. Immerhin gaben schon einige Regierungen zu, dass es ohne einheitliche Wirtschafts- und Steuerpolitik keine Chancengleichheit gibt. Ich bin zuversichtlich, dass, wie immer, der kleinste Nenner gefunden wird, um die Lage zu entschärfen. Außerdem können wir mit verschiedenen regionalen Regelungen leben, wenn nur die Hauptziele nicht ganz verloren gehen. Hoffentlich brauchen wir keine starken Impülse von außen, um schneller voranzukommen.

  3. Ich befürchte, dass die meisten Menschen für einen echten europäischen Kultur- und Werteraum und eine damit verbundene echte Gemeinschaft noch nicht bereit sind. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten brechen Nationalismen und engstirniges Denken sofort wieder auf.

    Wir sind häufig noch nicht bereit bzw. fähig, das große Ganze zu sehen.

    Sehr treffend finde ich in diesem Zusammenhang nach wie vor folgenden Ausspruch von Albert Schweizer:
    „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“

    Lösungsansätze? Spontan einige Gedanken:

    a) Wir brauchen mutige Politiker/innen, die voraus denken und voraus gehen. In Europa und weltweit.
    b) Wir brauchen eine „global ethics“, die über die Grenzen einzelner Kontinente hinaus geht. (vgl. hierzu z.B. TED Talk von Gordon Brown: http://www.ted.com/talks/gordon_brown.html)
    c) Wir müssen vor allem das Bewusstsein für globale Themen und Zusammenhänge weiter fördern. Das Internet ist in diesem Zusammenhang eine riesige Chance, aber es wird nicht ausreichen.

    Ich bin optimistisch, dass es gelingen wird.

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