Marx sprach vom falschen Bewußtsein. Später die SED. Heute müssen wir (Ex)Westdeutsche uns fragen, ob wir nicht das falsche Geschichtsbewußtsein haben.
Kurz vor dem 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls hatten Konrad-Adenauer-Stiftung und BILD-Zeitung einen Einfall. Sie luden die “Väter der Einheit” nach Berlin ein. George Bush Senior, Michail Gorbatschow, Helmut Kohl.
Die Väter der Einheit?
Ich kann mich an 1989 noch gut erinnern, saß verzückt im Fernsehsessel und tauschte mit meinem Freundeskreis schlaue Kommentare über die Bedeutung dieses historischen Ereignisses aus. Die Arbeit machten die Ostdeutschen. Sie riskierten einiges bei ihren Demonstrationen, dass es nicht das Leben war, wußten sie erst hinterher.
Die Mauer ging auf, dann kamen die drei “Väter” und besiegelten die Verträge für ihre “Jungen”. Jetzt feiern wir wohlwollend den Sieg des westlichen Systems und die Einverleibung der DDR ohne westliche Preisgaben.
Na gut, Geld hat es gekostet. Davon hatten wir mehr. An dieser Stelle bleibt aber festzuhalten, dass die Ostdeutschen die Vereinigung herbeigegeführt haben und nicht der Westen. Auch das weitverbreitete Urteil, dass wir die Ostdeutschen einfach so aufgesaugt haben, stimmt nicht.
Das Frauenbild wurde wesentlich von ostdeutschen Frauen modernisiert und eine ostdeutsche Frau ist heute die erste weibliche Bundeskanzlerin. Wie weit der ostdeutsche Einfluss über das sattsam bekannte grüne Ampelmännchen dann noch überall wirkte, überlasse ich zukünftigen Dokumentationen, die sich durch größere zeitliche Enfernung dabei leichter tun.
Während die Ostdeutschen nach dem Kraftakt der Vereinigung auch noch die Lebensläufe kräftig durcheinandergewirbelt bekamen – was haben wir im Westen eigentlich getan?
Wir haben zwei weitere Vereinigungen ausgesessen. Die Vereinigung von unten und oben und die Vereinigung von aussen und innen.
In der Frage der Vereinigung von unten und oben hat Frau von der Leyen mit ihrer Gebärmutterprämie für die Mittelschicht – nach der Dünnbrettbohrmethode – einige tausend Kinder mehr erzeugt und dabei klar gemacht, dass sie für die 1,7 Millionen Kinder der Unterschicht leider nichts tun kann. Bei der Vereinigung von aussen und innen wird mittlerweile immerhin diskutiert, ob die gemeinsame deutsche Sprache dabei nicht hilfreich sein könnte.
Dass wir Rostdeutschen die behagliche Sicht aus dem Lehnsessel der Geschichte schätzen, das ist menschlich. Aber wir sollten uns dann nicht als Macher der Geschichte aufspielen.
Demnächst gibt es wieder etwas zu beobachten, die beiden nächsten Vereinigungen stehen vor der Tür.
Die von Unten und die von Aussen und das ganz ohne unser Zutun.
SIX