Benötigen wir eine neue Moral in Wirtschaft und Politik?
Die Ereignisse der letzten Monate, die in den letzten Wochen Panik, Hysterie und Angst in der Finanzwirtschaft ausgelöst haben, animieren immer mehr Menschen zu der Aussage: „Manager sind gierig, korrupt und völlig abgehoben, ohne Anstand, Moral und Sittlichkeit. Brauchen wir also eine neue Moral in Wirtschaft und Politik? Die Antwort ist einfach: nein, wir benötigen keine neue Moral in Wirtschaft und Politik. Was wir benötigen, ist nur mehr Bereitschaft, sich an Moral und Ethik auch zu halten. Was wir allerdings auch benötigen, ist mehr Kompetenz in Sachen Ethik und Moral.
Denn es sieht nicht gut aus. Schon 2004 hielten laut einer Umfrage des Emnid Instituts für das World Economic Forum 70 Prozent der Deutschen Konzernchefs für unehrlich und stuften das Verhalten als unethisch ein. 80 Prozent der Deutschen halten Konzernchefs für zu mächtig.
Im Vergleich dazu halten nur 22 Prozent der Franzosen deren Wirtschaftsführer für unehrlich. Bei den Engländern sind es 42 Prozent, bei dem Amerikanern 37 Prozent, in Japan 47 Prozent. Wir schießen also den Vogel ab.
Nach einer Untersuchung von Ulich/Lunau/Weber von 1998 besteht zwar in Unternehmen eine stärkere Sensibilisierung für den Sinn und die Notwendigkeit ethisch gerechtfertigten Handelns, eine konsequente Umsetzung in einzelne, Ethik sichernde Maßnahmen steht aber auf breiter Front noch aus. Das betrifft mögliche Instrumente, wie Moralbilanzen, Ethik-Kommissionen oder Moralbeauftragte, Sanktionsrepertoires oder umfassende Ethik-Trainings.
Der sorglose Umgang mit Ethik wird sich wahrscheinlich erst dann nachhaltig ändern, wenn Unternehmen klar wird, dass für 70 % aller europäischen Kunden das soziale Engagement eines Unternehmens die Kaufentscheidung beeinflusst.
Nur fachliche Qualifikation reicht nicht.
Ein hilfreicher Schritt dazu beginnt bereits bei der Personalauswahl. Wer macht in einem Unternehmen Karriere? Manager werden überwiegend nach fachlicher Qualifikation ausgesucht. Ich fordere hier ein Umdenken. Neben der fachlichen Qualifikation ist unbedingt die soziale und ethische Qualifikation zu berücksichtigen. Soziale Qualifikation meint, ein Vertrauensklima herstellen zu können. Ethische Qualifikation bedeutet, kompetent in der Lage zu sein, ein Wertesystem zu implementieren, das nicht nur auf Hochglanzbroschüren gedruckt wird, sondern vorgelebt wird. Ethische Qualifikation bedeutet für mich auch, entscheidungskompetent zu sein. Wenn ich mir allerdings anschaue, wie viele meetings erforderlich sind, und wie viel Zeit investiert wird, um Entscheidungen zu fällen, die sich dann als falsch herausstellen, wird mir manchmal Angst und bange. Dabei ist es eigentlich nicht so schwer, zu sinnvollen Entscheidungen zu kommen. Die griechische und römische Dialketik hat dazu alle Methoden entwickelt, die man nur konsequent lernen und anwenden sollte.
Damit wäre mein Artikel eigentlich schon beendet, wenn es denn so einfach wäre. Aber wir sind alle Kinder dieser Gesellschaft. Auch Wirtschaftsführer und Politiker sind Kinder dieser Gesellschaft. Leider steht es damit nicht immer zum Besten.
Es ist erst wenige Wochen her, da haben CDU und SPD noch aufeinander eingedroschen.
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla betonte, die SPD habe „den Charakter einer Volkspartei bereits verloren“. SPD-Fraktionschef Peter Struck keilte zurück und kritisierte dagegen, Huber verhalte sich „völlig koalitionswidrig“, wenn er mit der Pendlerpauschale versuche, „seine marode CSU in einem Wahlkampf irgendwie nach oben zu bringen“.
George Hamilton, ein englischer Parlamentarier, der vor mehr als 200 Jahren das Buch ‚Logik in der Debatte‘ geschrieben hat, hätte dazu gesagt: ‚Wenn deine Sache nichts taugt, schiebe es auf deine Partei. Wenn die Sache deiner Partei nichts taugt, nimm es auf dich. Wenn beides nichts taugt, schiebe es auf den politischen Gegner.‘
Was hat es nun mit der Kompetenz, der Ethik und Moral auf sich? Nun Moral ist nach Cicero nichts anderes, als er Normenkatalog einer Gesellschaft, der die Sozialverträglichkeit sichert. Da die Moral der Franzosen eine andere ist, als die der Deutschen, der Inder, der Schweitzer, der Chinesen, greift bei der Internationalität und bei der Globalisierung Moral zu kurz. Ethik ist hier die Hilfe, die als gesellschaftsunabhängige Wissenschaft weiter hilft.
Nun gibt es nicht DIE Ethik, es gab im Laufe der Jahrtausende viele Ethiken. Generell gibt es drei Ethiktypen. Es gibt eine Gesinnungsethik, eine Ergebnisethik und eine Handlunsgethik.
• Die Gesinnungsehik gibt sich zufrieden mit der guten Absicht. Sie fragt nicht nach der Kompetenz.
• Die Ergebnisethik gibt sich zufrieden mit dem ethischen Ergebnis. Hier heiligt durchaus der Zweck die Mittel.
• Die Handlungsethik fordert als Einzige die Verantwortung des Einzelnen. Ich muss für meine Vorgehensweise gerade stehen. Die Handlungsethik fordert also Verantwortungsübernahme. Ich stehe gerade für die überschaubaren Folgen meines Handelns.
Handlungsethik scheint mir die einzig sinnvolle Ethik für Wirtschaft und Politik zu sein, in der ethische Kompetenz gefordert wird. Denn um Handeln zu können, benötige ich Kompetenz. Sonst reicht Verhalten aus.
Handeln benötigt fünf Prinzipien:
1. Kontingenzprinzip – ich kann auch anders handeln
2. Finalitätsprinzip – das Handeln hat ein Ziel
3. Effizienzprinzip – Es muss etwas verändert werden
4. Responsibilitätsprinzip – ich muss es begründen können
5. Verantwortungsprinzip – ich stehe gerade für die überschaubaren Folgen meines Tuns
Handeln und Verantwortung
Üblicherweise wird die Verantwortung bezogen auf die Gewissensverantwortung.
Gewissen
Das Gewissen ist die unmittelbar der Handlung vorausgehende Beurteilung über die sittliche Qualität der Handlung. Daran scheint es mir bei manchen Führungskräften im Finanzbereich gemangelt zu haben. Zugegebenermaßen nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik.
Zunächst muss man Handeln von Verhalten unterscheiden. Dem Verhalten fehlt die Verantwortungsbereitschaft. Gerade die Frage der Verantwortung spielt jedoch in ethischen Überlegungen eine entscheidende Rolle.
Ein Beispiel. Ich erinnere die für die SPD verloren gegange Hessen- und Niedersachsenwahl unter Gerhard Schröder. Damals stellte sich unser Bundeskanzler vor die Mikrophone der Öffentlichkeit und sagte: „Ich übernehme die volle Verantwortung.“ Leider hat damals niemand gefragt: „Und worin drückt sich nun konkret diese Verantwortungsübernahme aus?“
In ethischen Kategorien gedacht, scheinen mir Politik und manche der Wirtschaftsführer von einer Gesinnungsethik durchsetzt zu sein. Ich erkenne recht oft beste ethische Absichten der Politik, nur sind sie nicht von der erforderlichen Kompetenz begleitet. Und nichts ist schlimmer, als beste Absichten an Inkompetenz zu koppeln, dabei kommt nur Unsinn zustande. Das Gegenteil von gut ist halt immer noch gut gemeint.
Managergehälter – unmoralisch?
Bestes Beispiel für etische Inkompetenz ist die aktuelle Diskussion um Managergehälter, Deckelung und Begrenzung der steuerlichen Absetzfähigkeit.
Manager, so scheint es, sind Abzocker, raffgierig und egoistisch, mit Bedienermentalität ausgestattet, wenn es um ihre Gehälter geht. Die Finanzkrise hat hier das Urteil noch härter ausfallen lassen. Selbst Bundespräsident Horst Köhler warnte davor, mit übertriebenen Gehaltsforderungen den sozialen Frieden im Land zu gefährden. Und auch der amerikanische Großinvestor Warren Buffet sprach schon vor zwei Jahren von einer „Epidemie der Gier.“
All dies suggeriert, dass die Gehaltsforderungen von Managern übertrieben und ethisch verwerflich sind. Haben unsere Manager also bei ihren Einkommensvorstellungen die Bodenhaftung verloren? In der Ethik ist hier die Gerechtigkeit gefordert. Gerechtigkeit ist nach Ulpian immer noch der feste Wille, einem jeden Menschen sein Recht zukommen zu lassen. Schauen wir uns also unter Gerechtigkeitsaspekten Managergehälter einmal an.
Die öffentliche Diskussion zeigt vor allem Eines: Dass es uns an geeigneten Maßstäben fehlt, um zu beurteilen, ob ein Lohn gerecht ist oder nicht. Das Problem wird sich jedenfalls nicht dadurch lösen lassen, dass Managergehälter daran gemessen werden, ob bestimmte Bevölkerungsgruppen damit einverstanden sind oder nicht.
Ist die Höhe der Bezüge ungerecht und unmoralisch?
Spitzenmanager bekommen deutlich mehr als Angestellte oder Arbeiter. Die Kluft zwischen Arbeitern und Managern wird immer größer. Aber stimmt das auch?
Über sämtliche Unternehmen betrachtet, verdiente im Jahr 1975 ein Leitender Angestellter rund das Dreifache eines Arbeiters/Angestellten; im Jahr 2005 war es noch das 2,85-fache. Das Gehaltsniveau ist in dieser Zeit also im Verhältnis zu Arbeitern und Angestellten gesunken, und nicht gestiegen.
Auch beim Vergleich zwischen Vorständen und leitenden Angestellten ist der Unterscheid nicht so groß, wie oftmals angenommen. Ein durchschnittlicher Vorstand verdiente 1986 etwa das 2,5 -fache eines Leitenden Angestellten. Heute hingegen ist es das 3,7-fache. Untersucht hat das Kienbaum. Der zuständige Bereichsleiter Karl-Friedrich Raible, fand heraus, dass die Gehälter von Arbeitern und Angestellten von 1991 an bis zum Jahre 2005 prozentual mehr gestiegen sind als die Gehälter der Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften.
Ist die Kritik berechtigt?
Woher bekommt also die Berechtigung der Kritik? Ein Grund kann sein, dass die Bezüge der Vorstände, die in einem Unternehmen mit mehr als fünf Milliarden Umsatz tätig sind, eine ganz andere Gehaltsentwicklung erlebt haben. Deren Gehälter stiegen von 1976 bis heute um fast 800 Prozent. Wenn also von einer zunehmenden Kluft die Rede sein darf, dann ist diese Kluft nur für eine extrem kleine Gruppe von Spitzenmanagern zutreffend. Diese enormen Gehaltssteigerungen betreffen die 100 größten Unternehmen Deutschlands. Wenn wir annehmen, dass jedes dieser Unternehmen im Durchschnitt fünf bis zehn Vorstände hat, dann betrifft die öffentliche Diskussion rund 650 Spitzenmanager, und auch nicht alle. Der Vorstandsvorsitzende der Metro zum Beispiel bezieht ein Gehalt von etwas mehr als 570.000,00 Euro pro Jahr.
Wir tun jedoch so, als ob alle Spitzenmanager solch exorbitanten Gehaltentwicklungen erlebt hätten. Es kann sein, dass in der Frage der Gehälter in der öffentlichen Kritik der Schwanz mit dem Hund wedelt.
Der Staat macht mit
Etwas befremdlich in diesem Zusammenhang ist, dass ausgerechnet die Unternehmen besonders hohe Vorstandgehälter zahlen, an denen unser Staat beteiligt ist. Am besten schneidet laut einer Studie der Humboldt Universität Berlin die Deutsche Post ab. In den letzten 11 Jahren sind die Bezüge der Vorstände der Deutschen Post vom elffachen auf das 87-fache gestiegen im Verhältnis zum Durchschnittsverdienst eines einfachen Postmitarbeiters.
Die Telekom, ebenfalls ein Unternehmen mit Staatsbeteiligung, liegt deutlich über dem Durchschnitt der sonstigen Dax-Unternehmen. Politiker kritisieren also eine Entwicklung, zu der sie in der Regierungsverantwortung selbst beigetragen haben. Böswillige Menschen könnten meinen, dass haben unsere Politiker nur deswegen getan, damit es leichter ist, Spitzenmanager zu diffamieren.
Gerechtigkeit und Entlohnung – passt das zusammen?
Schon in der Antike war die Frage der Gerechtigkeit Gegenstand intensiver philosophischer Debatten. Aristoteles zum Beispiel vertrat in seiner ‚Nikomachischen Ethik’ eine Tugendethik, in der das „Rechte“ dann getan war, wenn ein für die Gesellschaft gemeinsames Gut verwirklicht wurde. Gerechtigkeit war für ihn die vornehmste aller Tugenden. Der Fachbegriff dafür war die Eudaimonia.
Ein Bürger konnte seiner Meinung nach nur dann diese Eudaimonia erreichen, wenn er das Wohl der anderen Bürger mehrte. Interessanterweise war für Aristoteles nicht der Staat für das Wohl der Menschen verantwortlich, sondern der Bürger selbst. Aristoteles hätte also wahrscheinlich nicht nach der Höhe der Managergehälter gefragt, sondern sich gefragt, was Manager unternehmen, um das Wohl der anderen Bürger zu optimieren. In Unternehmen heißt das heute corporate social responsibility. Aristoteles hätte sich also unter ethischen Gesichtspunkten nicht mit der Höhe eines Managergehaltes befasst, sondern mit seiner Ursache.
Soziale Gerechtigkeit
In der öffentlichen Diskussion geht es bei ethischen und moralischen Fragen immer wieder um die Soziale Gerechtigkeit. Ich frage mich, ob die soziale Gerechtigkeit der richtig gewählte Begriff ist. Dazu kann es recht hilfreich sein, sich die Geschichte der sozialen Gerechtigkeit einmal anzuschauen.
Das Problem der sozialen Gerechtigkeit ist, dass uns eine verbindliche oder noch besser konsensuelle Definition fehlt. Vielleicht ist das Dilemma entstanden durch den Artikel 20 unseres Grundgesetztes. Darin heißt es u. A.: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Leider fehlt im Anschluss eine saubere Definition, was denn ein Sozialstaat ist. Das Einzige, was wir in der Verfassung wieder finden ist, dass wir keine sozialen Ansprüche an den Staat geltend machen können, wenn es um Verteilungsgerechtigkeit geht. Soziale Gerechtigkeit will zwar jeder, jedoch lässt sie sich per Staatsdekret nicht herstellen. Auch die Idee einer Umverteilung hilft hier nicht wirklich weiter.
Ist von sozialer Gerechtigkeit die Rede, dann werden von der Pflicht, von gerechtem Ausgleich, von politischer Korrektheit oder von Sendungsbewusstsein, gesellschaftlicher Solidarität geredet oder es wird behauptet, ein großes Unrecht müsse endlich korrigiert werden.
Wir sollten endlich den Scharlatanen das Handwerk leben, die für universelle Gerechtigkeit sorgen wollen, dem Erfolgreichen ständig vorzuhalten versuchen, dass sein Erfolg auf unredliche Art und Weise zustande gekommen sein muss. Diese Miesepetrigkeit ist das wahre Unethische und Unmoralische in meinen Augen.
Psychologen vermuten Neid als Quelle. Sie sagen jedoch gleichzeitig, Neid nicht zu den ursprünglichen ‚Begabungen’ der Menschen gehört. Menschen, die neidisch sind, müssen in ihrer frühen Liebe zu ihren Bezugspersonen einmal schwer enttäuscht worden sein. Karl Marx meinte einmal: „Der allgemeine und als Macht sich konstituierende Neid ist die versteckte Form, in welcher die Habsucht sich herstellt.“ Der neidische Mensch sucht Beziehungen über den Besitz, den er anderen nicht gönnt. Intrigen, Mobbing, gemeine Gerüchte, alle finden im Neid ihre Ursache. Beseitigen wir den Neid nicht, werden wir auch kaum in den Unternehmen Mobbing und Intrigen beseitigen. Wir können sie halt nur bekämpfen.
Ich denke, es wäre in der heutigen Situation sicher hilfreich, die Geschichte des Neides so manchem Politiker oder Gewerkschaftler auch manchem Wirtschaftsführer hinter die Löffel zu schreiben, wenn er von sozialer Gerechtigkeit schwafelt.
Soziale Gerechtigkeit ist ein ungeeigneter Begriff
Was bedeutet das konkret? Es bedeutet, wer von sozialer Gerechtigkeit spricht, wenn es zum Beispiel um Managerbezüge geht, wählt einen völlig ungeeigneten Begriff. Selbst Karl Marx hat schon 1875 gefordert: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Und auch der SPIEGEL stellte fest, ‚der Sozialstaat deutscher Prägung’ sei ‚zum Monstrum geworden, das an seiner eigenen Größe zu ersticken’ drohe. Der SPIEGEL kam sogar zu der Überzeugung, dass unser Sozialstaat ‚zutiefst ungerecht’ sei ‚weil er seine Leistungen oft willkürlich und nicht selten an den wirklich Bedürftigen vorbei’ verteile.
Die öffentliche Diskussion zeigt also, dass wir weder über das, was sozial ist, noch das, was gerecht ist, so richtig Bescheid wissen. Wir sind in unserem Land möglicherweise viel sozialer und gerechter, als manche Politiker uns suggerieren. Ich will nicht verkennen, dass es sehr vielen Menschen im unserem Land nicht sehr gut geht. Wir haben manchmal Löhne von drei oder vier Euro pro Stunde. Davon kann niemand sein Leben finanzieren. Muss er auch nicht; die Solidargemeinschaft unterstützt ihn.
Ein Sozialhilfeempfänger genießt heute einen deutlich höheren Lebensstandard als ein gutverdienender Facharbeiter in den fünfziger Jahren. Das das so ist, daran haben die Reichen einen großen Anteil: Die obersten fünf Prozent in der Einkommenspyramide in Deutschland (mit Jahreseinkommen über 85 400 Euro) zahlen mehr als 40 Prozent der Einkommensteuer, die gesamte untere Hälfte der Einkommensbezieher trägt mit gerade einmal 8,3 Prozent zum Einkommensteueraufkommen bei.
Die „Reichensteuer“ zum Beispiel suggeriert, die Spitzenverdiener würden nicht genug Steuern bezahlen. In Wahrheit ist es so, dass die „breiten Schultern“ jetzt schon weitaus mehr an Steuerlast tragen, als alle anderen Steuerzahler. Alle Bürger, die mehr als 67.000,00 Euro pro Jahr verdienen, das sind nur zehn Prozent aller Steuerzahler, erwirtschaften für unseren Staat 53! Prozent seines gesamten Einkommensteueraufkommens.
In der Bundesrepublik gibt es derzeit rund 35.000 Menschen, die im Jahr mehr als 500.000,00 Euro verdienen. Das sind nur 0,13 Prozent aller Steuerpflichtigen. Sie zahlen allerdings bereits jetzt schon rund 13 Prozent des Einkommensteueraufkommens aller Steuerpflichtigen.
Die Zeitschrift CAPITAL hat im Juni 2008 einige Spitzenmanager und Politiker zu ihrer Einkommenssteuer befragt. Bis auf Peter Müller, den saarländischen Ministerpräsidenten haben alle anderen Politiker, auch die Bundeskanzlerin entweder nicht geantwortet oder Angaben verweigert. Peter Müller hat 35.700 Euro Einkommenssteuer gezahlt.
Bei den Spitzenmanagern war das anders. Götz Werner zahlte 7 Millionen, Herbert Hainer von Adidas zahlte 2,5 Millionen, Martin Winterkorn von VW 2 Millionen, der Conti-Chef zahlte 1,2 Millionen. Herr Wiedeking zahlt Einkommenssteuer im zweistelligen Millionenbereich. Auch Jürgen Großmann von RWE, Mitglied im BWA zahlt deutlich über 10 Millionen.
Das statistische Bundesamt weist aus, dass Menschen mit einem Einkommen von 548.000 Euro und mehr, 8,2 Prozent der Einkommenssteuer bezahlen, jedoch nur 0,1 Prozent der Steuerpflichtigen ausmachen. Und wenn sie Menschen mit einem Einkommen ab 170.100 Euro nehmen, das sind genau ein Prozent der Einkommensteuerpflichtigen, dann zahlen diese Steuerzahler sogar 20,4 Prozent der Einkommensteuer. Also: der Vorwurf, sich am Steueraufkommen ungenügend zu beteiligen, ist schlichtweg falsch, wenn nicht gelogen.
Was benötigen wir also? Wir benötigen mehr Redlichkeit im Umgang miteinander.
Die Redlichkeit
Aber lassen Sie mich nach Redlichkeitskriterien vorgehen. Nach Aristoteles unterscheidet sich der redliche Mensch dadurch, dass er sagen kann, worüber er spricht. Das bedeutet, der redliche Mensch spricht von der Sache selbst, nicht nur von den Gefühlen, die ihn begleiten.
Die steuerliche Absetzfähigkeit von Managergehältern
Die in Deutschland hitzig geführte Debatte um Höhe und Angemessenheit von Managergehältern beschäftigt inzwischen auch die EU. „Es ist nicht mehr hinnehmbar, dass bestimmte Unternehmenschefs von übermäßigen Gehältern und vor allem von goldenen Handschlägen profitieren, die nicht im Zusammenhang mit der Leistung stehen“, sagte Jean-Claude Juncker, Vorsitzender der Eurogruppe und luxemburgischer Ministerpräsident, nach einer Sitzung der Finanzminister der Eurozone.
Die SPD hat dazu eine Arbeitsgruppe gebildet. Ich habe mir das SPD Arbeitspapier einmal unter ethischen Gesichtspunkten angeschaut. Dort heißt es: „Die Entwicklung der Managergehälter, insbesondere der Vorstandsbezüge in Großunternehmen hat sich in den vergangenen Jahren in dramatischer Weise von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt: Die Einkommen der Chefs der DAX-Unternehmen stieg dabei vom 14-fachen des jeweiligen durchschnittlichen Belegschaftsgehalts (da frage ich mich, wann das war?) auf das 44fache. Diese Entwicklung setzt sich auch aktuell weiter fort.“
Gehälter in Dax Unternehmen bewegen sich zwischen 26.000 Euro und 80.000 Euro. Vorstand, Geschäftsführung ausgenommen. Sollte das SPD Papier recht haben, dann müsste bei einem durchschnittlichen Belegschaftsgehalt in einem Dax-Unternehmen von 40.000 Euro ein durchschnittlicher Dax-Vorstand rund 2 Millionen Euro verdienen. Es gibt DAX-Vorstände, die verdienen pro Jahr 13,6 Millionen und manchmal mehr. Aber als Durchschnittswert ist das schlichtweg falsch. Damit wir uns nicht falsch verstehen, der Durchschnittswert ist höher als 44-fach. Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang an Franz Müntefering. Er hatte behauptet, dass viele deutsche Manager „das Tausendfache“ ihrer Mitarbeiter verdienen würden. Das 44-fache ist genauso falsch, wie das Tausendfache.
Dax-Primus Josef Ackermann bekam 2007 zwar 13,2 Millionen Euro, selbst seine einfachsten Mitarbeiter liegen aber weit über einem Tausendstel, also 13.200 Euro. Vorstände, denen es nicht ganz so gut geht wie Ackermann, sind vom Tausendfachen weit entfernt. Im Schnitt verdienen Dax-Chefs nach der jüngsten Erhebung 3,42 Millionen Euro und damit etwa hundertmal mehr als normale Angestellte, nicht tausendmal. Müntefering vertut sich also um eine Zehnerpotenz, ein Teil der Aufregung beruht auf einem Rechenfehler.
Selbst diese hundertfachen Einkommen sind eher die Ausnahme. Im Mittelstand und kleineren Aktiengesellschaften sind Gehälter mit dem Faktor 10 bis 20 üblich.
Das Arbeitspapier strotzt von Behauptungen, denen jegliche Begründung fehlt. Nun sollte man Eines wissen. Behauptungen erhalten Ihre ethische Rechtfertigung erst durch ihre Begründung. Fehlt diese, handelt es sich oft um Polemik pur. Hier wird der Grundsatz der Redlichkeit verletzt. Es ist von „atemberaubenden Anstieg der Managergehälter“ die Rede, „das Interesse der stakeholder” der Unternehmen würde systematisch
in den Hintergrund gedrängt.“ Es wird behauptet, es gäbe „überzogene und anreizverzerrte Managementvergütungen.“
Die Arbeitsgruppe empfiehlt u.a „Beschränkung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Vorstandsbezügen und –abfindungen als Betriebsausgaben auf eine Größenordnung von 1 Million Euro plus 50 % des darüber hinaus gehenden Betrags.“
Was fehlt, sind nachvollziehbare ökonomische oder rechtsstaatliche oder ethische Begründungen. Wieso eine Million und nicht mehr oder weniger, wieso 50 Prozent und nicht mehr oder weniger? Das setzt sich durch das gesamte Papier durch.
Ein wenig mehr Sachverstand, ein wenig mehr Kompetenz und etwas weniger Emotionen würden in der Beurteilung der Angemessenheit von Managergehältern helfen. Die Finanzkrise hat die Diskussion noch verschärft. Momentan traut sich niemand, die Deckellung von Managergehältern in Frage zu stellen. Herr Juncker und seine politischen Kollegen haben die Stimmung für sich, jedoch nicht eine einzige ethische Komponente auf Ihrer Seite, die redlich dokumentiert, welcher ethische Wert bei der Deckellung gehandhabt werden muss. Leider verfahren derzeit nicht wenige Menschen nach dem Motto: „Was stört mich Wissen, wenn ich doch schon eine Meinung habe.“
UDP
P.S.
Alle Beiträge von UDP sind von Ulf D. Posé.
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Ulf D. Posé, freier Dozent für Dialektik und Führungslehre
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5 Antworten
„Manager werden überwiegend nach fachlicher Qualifikation ausgesucht. Ich fordere hier ein Umdenken. Neben der fachlichen Qualifikation ist unbedingt die soziale und ethische Qualifikation“.
This made me gulp. I believe I am good technically, but have social deficiencies, particularly a lack of tact. I have always tended to think that managers were chosen more for social abilities than anything else. I was often frustrated to see managers make technically false decisions. Particularly at Siemens, I saw technicians well paid to sort out the mess resulting from bad technical decisions by managers, who rarely consulted the technicians before deciding. I think most technicians would agree with me about this. Of course somebody whose competence is rather social will tend to see things differently.
As regards ethics, I see deficits almost everywhere, (including myself). It lies in the nature of things that all living beings compete to propagate their genes. Animals are „red in tooth and claw“. Viruses and bacteria are just as bad. Plants try hard to deprive each other of light. We can see that the world could be much pleasanter for mankind if we were all really nice to each other, but most of us are only nice to those close to us. We hope then that they will reciprocate. Perhaps without competition between people and countries, there would be no progress. But I fear that competition for resources and industrial growth will lead to a dismal future for most of mankind, when the oil runs out.
Nach meinem Dafürhalten werden „die Manager“ an den Stammtischen aber (auch) aus anderen Gründen negativ wahrgenommen. Betrachten wir ein aktuelles Beispiel für das, was ich meine.
Was wird Herr Middelhoff an Abfindung bekommen, wenn er vorzeitig den Vorstandsvorsitz bei Arcandor räumt? Wird das im Verhältnis zu seinen Versprechungen bei Amtsantritt stehen? Damals sagte er unter anderem, das Unternehmen, das zu diesem Zeitpunkt noch Karstadt hieß, würde bald wieder in der Champions League spielen.
Unterstellen wir rein theoretisch H. Middelhoff einmal fachliche Fehler, die seine Ablösung nach sich ziehen.
Stellen wir einen durchschnittlichen Angestellten daneben, der durch Minderleistung auffällt und deswegen gekündigt wird. Erhält er eine (durchaus im Verhältnis zu seinem Gehalt stehende) Abfindung?
Diese starken Vereinfachungen gilt es auszudifferenzieren, was der Beitrag meiner Ansicht nach gut leistet. Grundsätzlich stimme ich den Kernaussagen und -forderungen daher zu. Persönlich finde ich ihn wohltuend fundiert, auch wenn ich die genannten Zahlenbeispiele mit Vorsicht genießen würde. Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast 😉
Eine Frage muß aber erlaubt sein: ein heutiger Solzialhilfeempfänger habe einen deutlich höheren Lebensstandard, als eine gutverdienender Facharbeiter der 1950er Jahre. Worauf basiert diese Aussage?
Den Facharbeiter habe ich in einem VW-Käfer vor Augen. Den Sozialhilfeempfänger bringe mit dem New Beetle nur schwer zusammen. Und ob ein LCD-Fernseher dem Sozialhilfeempfänger tatsächlich mehr Lebensqualiät bietet? 😉
Irgendwo las ich, dass Völker um so weniger glücklich sind, je größer der soziale Unterschied (=Einkommensdifferenz) ist.
Warum verdienen z.B. Banker so viel, obwohl sie nur Geld vermehren, das im Grund nicht wert ist, weil nicht gedeckt, und nur so lange etwas wert scheint, wie die Menschen es noch glauben. U.a. weil B52 Bomber dafür sorgen (las ich heute an anderer Stelle einen Insider sprechen)?
Dagegen bekommen Menschen, die anderen Menschen beim Leben helfen einen Hungerlohn. Da ist die Frage nach einer gerechten Entlohnung schon eine spannede.