Ein Blog soll aktuell sein, also wo ist der Bezug?
Der Anfang der 70er Jahre sah einen ganz merkwürdigen Ansatz der Pädagogik. Der Programmierte Unterricht war recht erfolgversprechend umgesetzt worden. Mathematik und Physik war in kleine Lernhäppchen zerlegt worden. Jedes Häppchen erhielt eine Seite als Stoffdarstellung mit anschließender Aufgabe. Auf der Rückseite stand die Lösung und so durch den ganzen Stoff. Natürlich waren die Schüler unterschiedlich schnell und auch sehr unterschiedlich bereit, sich selbst durch den Stoff zu bewegen. Aber der Erfolg reichte aus, um große Investitionen in Angriff zu nehmen. Siemens entwickelte eine eigene Programmiersprache LIDIA (Lernen im Dialog) um Lehreinheiten von Pädagogen erstellen lassen zu können. Der CUU (Computer unterstützter Unterricht) war geboren. Technologieführer weltweit war Bayern, die Zentralstelle für Programmierte Unterweisung und Computer im Unterricht wurde mit den Entwicklungsarbeiten beauftragt.
Die Vorlage der Programme waren die gedruckten programmierten Unterweisungen. Das Schüleridealbild war der „autonome Lerner“, der als Einzellerner, selbstmotiviert mit individualisierter Lerngeschwindigkeit sich den Lehrstoff erarbeiten sollte.
Aber der Jubel der Schülerschaft blieb aus. Sie reagierte sehr differenziert und hatte sehr unterschiedliche Erfolgserlebnisse bei der neuen Unterrichtsmethode „Schüler am Bildschirm“.
Mit dem Aufkommen der ersten PCs, Commodore und Apple II, wurde das Kapitel CUU rasch zu den Akten gelegt. Das Lernen am Computer wurde sehr schnell durch das Programmieren abgelöst. Unbemerkt zunächst schlüpfte der Schüler aus seiner Rolle.
Das Phänomen entstand, dass der Wissensvorsprung des Lehrers im Unterricht nicht mehr die entscheidende Rolle spielte. Von den Medien wurde das oft missverstanden. Man konnte beobachten, wie Schüler aktive Rollen im Unterrichtsgeschehen spielten. Die Tafel wurde nicht mehr vollgeschrieben, die Schüler schrieben nicht mehr ab. Folgerung: Dann müssen die Schüler mehr wissen als die Lehrer! In der Tat gab es eine enorme Verunsicherung auf Seiten der Lehrerschaft, nur wenige fanden sich bereit, Programmierung und Wissen über Computer und Computersprachen als selbständiges und wichtiges Wissensgebiet in ihren Unterricht zu integrieren.
Für diesen Fakt biete ich ein neues Erklärungsmuster an.
Wenn im Unterricht der Computer als Werkzeug der Programmierung verwendet wird nimmt der Frontalunterricht als Instruktionsphase nur einen kleinen Zeitabschnitt der Stunde ein. Dann löst sich der Schüler, wird selbsttätig und benötigt den Lehrer nicht mehr. Er versinkt zusammen mit einem Mitschüler in ein Projekt. Die Kommunikationsregeln bestimmt nicht mehr der Lehrer sondern der Compiler und der Mitschüler. Ein Machtverlust findet statt, der Lehrer hat nichts mehr zu tun!? So weit die Befürchtung und die Begründung der dadurch hervorgerufenen Aversion.
Aber die Analyse der Kommunikationsstruktur zeigt, dass im Moment der Zuwendung zu den Maschinen der Lehrer in einer anderen Rolle schlüpfen muss, in die des Coach.
Für mich wurde an dieser Stelle zu ersten Mal an den Schulen projektorientierter Unterricht eingeführt. Zunächst in seiner sozialen Auswirkung auf Lehrer und Schüler unverstanden. Der Schüler war nicht gewohnt, an einem Projekt zu arbeiten. Er war auch nicht gewohnt, dass man den Arbeitserfolg selbst konstruieren und nicht abschreiben muss um ihn schwarz auf weiß nach Hause zu tragen. Der Lehrer war plötzlich mit einem sehr dynamischen Wissensgebiet konfrontiert, das prinzipiell unüberschaubar war. Außerdem mit der Aufgabe der individuellen Betreuung von Teams und dem Erfordernis viel individueller und umfänglicher zu kommunizieren als gewohnt. Auch unvorhersehbares und überraschendes musste bearbeitet werden, was sich elementar von dem klassischen Gedanken der Unterrichtsvorbereitung unterschied. Führen, ausstrahlen, Schwierigkeiten besprechen, individuelle Lösungen würdigen etc. sind zentrale Qualitäten für Projektunterricht, die man auch als versierter Frontalunterrichter in der Regel nicht entwickelt hatte.
Beobachtet man heute Unterricht, in dem Projektarbeit durchgeführt wird: Wie bewegt sich der Lehrer, auf welche Weise interveniert er, wie verhält er sich im Beratungsgespräch, was würdigt er an Verhalten und Leistungen – dann sieht man, dass das Pult keine Rolle mehr spielt. Der Pionier dafür war der PC, er hat den Schüler auch vom Programm, vom total vorgedachten Programm mit eingebauter Lehrplansequenz, befreit.
Heute (Do 11.9.2008) liest man unter der Überschrift „Stellt den Lehrer in die Mitte der Debatte“ in der FAZ, S.31 eine Besprechung von Bernhard Buebs neuem Buch „Von der Pflicht zu führen“. „Ein Lehrer braucht Flexibilität, Mut, Durchsetzungskraft und Begeisterung für das zu vermittelnde Fach“, d’accord. Ich ergänze auch gerne: Kommunikative Sensibilität. Führen heute ist etwas anderes als führen gestern. Ich hätte eine Reihe Anmerkungen zum Ansatz Buebs. Aber die Diskussion macht deutlich, dass der nötige Wechsel des kommunikativen Stils, der dem Schüler Selbstverantwortung, Gestaltungspflicht und Teamverantwortung überträgt, noch längst nicht vollzogen ist. Auch der Stil in dem junge Lehrer an den Universitäten ausgebildet werden entspricht noch längst nicht dem, was sie später performen sollten. Aber das ist dann eine weitere Geschichte.
WL